Zusammengefasst von Anja Schirwinski
Seit meine Hündin Frida mit fünf Monaten aus einem rumänischen Shelter zu mir kam, beschäftige ich mich intensiv mit Hundethemen - von Alltagstraining bis Verhaltensbesonderheiten. Viele der Fragen, die in Podcasts besprochen werden, kenne ich aus unserer gemeinsamen Erfahrung nur zu gut. Deshalb fasse ich hier die für mich interessantesten Podcastfolgen zusammen und ergänze sie mit meinen eigenen Erlebnissen mit Frida.
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In Episode 61 des Podcasts The Petfood Family spricht der Host mit Vanessa Bokr von der Hellhound Foundation, einer Organisation, die sich auf verhaltensauffällige Hunde spezialisiert hat - sogenannte „Höllenhunde“, die oft eine Vorgeschichte mit Beißvorfällen haben. Das Gespräch liefert einen tiefen und ungeschönten Einblick in die täglichen Herausforderungen der Tierschutzarbeit und analysiert die systemische Krise, die Tierheime und engagierte Tierschützer an ihre Belastungsgrenzen bringt.
Im Zentrum der Diskussion stehen die massiven bürokratischen Hürden, die gesamtgesellschaftliche Fehleinschätzung von Hundeverhalten und die dringende Notwendigkeit radikaler Veränderungen. Diese Episode ist eine unverzichtbare Ressource für alle, die die Realität des Tierschutzes in Deutschland verstehen und erfahren wollen, warum das aktuelle System zu scheitern droht und welche drastischen, aber durchdachten Lösungsansätze es geben könnte.
Das Wichtigste auf einen Blick
- Der Tierschutz ist am Limit: Die Tierheime sind überfüllt, und es gibt kaum noch Plätze für Hunde mit Verhaltensproblemen. Anfragen zur Abgabe von Hunden nach Beißvorfällen sind laut Vanessa an der Tagesordnung.
- Bürokratie erstickt Tierschutzarbeit: Die Hellhound Foundation investiert enorme Mengen an Zeit und Spendengeldern (über 40.000 Euro allein für Anträge und Gutachten) in den Kampf mit Behörden für ihren Umzug auf ein neues Gelände, anstatt sich auf die Hunde konzentrieren zu können.
- Ein radikaler Lösungsansatz: Vanessa schlägt vor, die Hundehaltung so streng zu regulieren wie den Waffenbesitz. Dies würde hohe Gebühren, ein polizeiliches Führungszeugnis und eine obligatorische zweimonatige Mitarbeit im Tierheim vor der Anschaffung beinhalten.
- Verzerrte öffentliche Wahrnehmung: Medien und Hundetrainer-Sendungen vermitteln oft ein unrealistisches Bild und suggerieren, dass jedes Problem schnell „wegtrainiert“ werden könne. Die harte Realität und die Komplexität von Verhaltensproblemen werden ausgeblendet.
- Die Hundeszene ist gespalten: Es gibt keine einheitliche Front. Verschiedene Lager, wie die von Vanessa beschriebenen „Wattebauschwerfer“ und „Hardliner“, bekämpfen sich online, was zu Verwirrung bei Hundehaltern führt und gemeinsame Lösungsansätze verhindert.
- Resozialisierung durch Gemeinschaft: Der Ansatz der Hellhound Foundation basiert nicht auf isoliertem Training, sondern auf dem Zusammenleben in einer stabilen Hundegruppe. Hier dürfen Hunde wieder „Hund sein“, was ihnen hilft, ihre Kommunikationsfähigkeiten zurückzugewinnen und deeskalierend zu agieren.
- Eigenverantwortung ist entscheidend: Vanessa betont, dass viele Beißvorfälle auf menschliches Versäumnis zurückzuführen sind. Oft werden die Signale des Hundes übersehen oder falsch interpretiert. Ein ehrlicher Blick auf die eigene Rolle sei unerlässlich.
Die Hellhound Foundation: Einblicke in den Alltag mit „Höllenhunden“
Vanessa beschreibt den Alltag in der Hellhound Foundation als konstant unvorhersehbar und herausfordernd. Anstelle von Routine und planbaren Tagen dominieren Krisen und unvorhergesehene Ereignisse - von nächtlichen Durchfallattacken über Notfälle wie Magendrehungen bis hin zu unerwarteten finanziellen Forderungen. Vanessa erklärt, dass dieser Zustand über die Jahre zu einer Belastung für das Team und die Hunde geworden ist. Die Tiere seien „knirschiger“ geworden, und die Arbeit mache nicht mehr so viel Spaß wie früher.
Die größte aktuelle Herausforderung ist der bevorstehende Umzug. Da der Mietvertrag für das aktuelle Gelände in Niedersachsen ausläuft, hat die Stiftung eine alte Kaserne in Sachsen-Anhalt erworben. Dieses Projekt entpuppt sich jedoch als bürokratischer Albtraum. Vanessa berichtet, dass sie sich mit unzähligen Behörden wie dem Bauamt oder der „unteren Wasserbehörde“ auseinandersetzen müssen, um das ehemalige Militärgelände in eine nutzbare Fläche umzuwandeln. Dieser Prozess verschlingt nicht nur enorme Summen an Spendengeldern für Gutachten und Architektenleistungen, sondern auch wertvolle Zeit, die bei der direkten Arbeit mit den Hunden fehlt.
Die Krise im Tierschutz: Überfüllte Tierheime und die Grenzen des Systems
Das Gespräch macht deutlich, dass der Tierschutz in Deutschland an einem kritischen Punkt angelangt ist. Die Tierheime sind, so Vanessa, hoffnungslos überfüllt, insbesondere mit Hunden, die Verhaltensprobleme zeigen. Die Hellhound Foundation erhält beinahe täglich Anrufe von verzweifelten Haltern oder sogar Tierärzten, die einen Hund nach einem Beißvorfall abgeben müssen und nirgendwo einen Platz finden. In diesem Zusammenhang verweist Vanessa auf einen Beitrag der Sendung „Reschke Fernsehen“, der das Problem der zunehmenden Euthanasie von verhaltensauffälligen Hunden thematisierte und die dramatische Lage beleuchtete.
Vanessa kritisiert, dass der Tierschutz vom Staat und der Gesellschaft weitgehend sich selbst überlassen wird. Es herrsche die Annahme vor, dass Tierheime und private Initiativen „das schon richten werden“. Diese Haltung führt dazu, dass sowohl Privatpersonen als auch Behörden die Verantwortung abschieben. Das Ergebnis ist ein System, das kurz vor dem Kollaps steht und in dem viele Hunde durchs Raster fallen.
Vanessas radikaler Lösungsansatz: Hundehaltung als Privileg
Auf die Frage nach einer Lösung für die Tierschutz-Krise präsentiert Vanessa einen provokanten, aber konsequenten Vorschlag: Hundehaltung muss teuer und aufwendig werden. Ihrer Meinung nach schreckt Menschen nur eine Kombination aus hohen Kosten und großem Zeitaufwand effektiv von unüberlegten Spontankäufen ab. Konkret schlägt sie vor, die Anschaffung eines Hundes an die gleichen strengen Auflagen zu knüpfen wie den Besitz einer Waffe.
Ihr Modell würde beinhalten, dass angehende Hundehalter ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen, eine hohe Gebühr (z. B. 1.500 Euro) entrichten und vor allem nachweisen müssen, dass sie zwei Monate ehrenamtlich in einem Tierheim gearbeitet haben. Dieser letzte Punkt sei entscheidend, damit Menschen das Elend und die Konsequenzen von unüberlegter Hundehaltung mit eigenen Augen sehen. Ein solches System würde, so ihre Überzeugung, den illegalen Welpenhandel austrocknen, da die Nachfrage einbrechen würde.
Fehlende Einigkeit und falsche Darstellungen: Die Spaltung der Hundeszene
Ein weiteres zentrales Problem ist laut Vanessa die Zersplitterung und der mangelnde Zusammenhalt innerhalb der Hundeszene. Sie beschreibt eine tiefe Kluft zwischen verschiedenen Trainingsphilosophien, die sie plakativ als „Wattebauschwerfer“ und „Hardliner“ bezeichnet. Anstatt an einem Strang zu ziehen, würden sich die Anhänger der verschiedenen Lager in den sozialen Medien gegenseitig bekämpfen und jeden Ansatz der Gegenseite „zerfetzen“. Diese öffentlichen Auseinandersetzungen führen bei Hundehaltern zu massiver Verunsicherung und verhindern, dass eine einheitliche, faktenbasierte Herangehensweise an Hundetraining und -verhalten etabliert wird.
Zusätzlich kritisiert Vanessa die mediale Darstellung von Hundetraining scharf. Fernsehformate würden komplexe, monatelange Arbeit auf kurze, erfolgsorientierte Beiträge reduzieren und so den falschen Eindruck erwecken, dass jedes Problem schnell lösbar sei. Die ungeschönte Wahrheit - Aggression, Rückschläge und die harte Arbeit dahinter - werde oft herausgeschnitten, um ein massentaugliches Bild zu erzeugen. Dies trage zur Verharmlosung der Problematik bei.
Der Ansatz der Hellhound Foundation: Resozialisierung durch Zusammenleben
Die Hellhound Foundation verfolgt einen Ansatz, der sich von klassischen Trainingsmethoden unterscheidet. Anstatt Hunde isoliert in Zwingern zu halten, leben sie in einer gemischten Gruppe frei auf dem Gelände. Vanessa erklärt, dass es kein starres Methodenkonzept gibt. Die Arbeit findet im Alltag statt, indem das Team auf die Situationen reagiert, die im Zusammenleben entstehen. Es gehe darum, dem Hund klare Grenzen zu setzen, aber gleichzeitig immer wieder eine soziale Einladung auszusprechen und ihm zu zeigen, dass er Teil einer Gemeinschaft ist.
Ein zentrales Element ist, den Hunden zu erlauben, wieder natürliche Verhaltensweisen zu zeigen - sei es Imponiergehabe oder ein sogenannter Kommentkampf (ein ritualisierter Streit ohne Verletzungsabsicht). In der stabilen Gruppe lernen die Hunde, Konflikte wieder angemessen zu kommunizieren und zu deeskalieren, anstatt sofort mit massiver Aggression zu reagieren. Vanessa beobachtet, dass selbst Hunde, die mit starker Beschädigungsabsicht ankommen, in diesem Umfeld lernen, ihre Impulse zu kontrollieren und ihre Kommunikation zu verfeinern.
Ein radikales Protokoll zur Hundehaltung: Vanessas Lösungsansatz
Basierend auf ihren Erfahrungen schlägt Vanessa ein mehrstufiges Verfahren vor, das jeder durchlaufen müsste, bevor er sich einen Hund anschaffen darf:
- Praktische Erfahrung sammeln: Absolviere eine obligatorische, zweimonatige ehrenamtliche Tätigkeit in einem Tierheim. Ziel ist es, ein realistisches Verständnis für die Bedürfnisse von Hunden und die Konsequenzen von schlechter Haltung zu entwickeln.
- Behördliche Prüfung: Lege bei der zuständigen Behörde ein polizeiliches Führungszeugnis sowie das Zeugnis aus dem Tierheim vor, um deine Eignung nachzuweisen.
- Finanzielle Hürde schaffen: Eine hohe einmalige Gebühr (Vanessa nennt beispielhaft 1.500 Euro) für die Genehmigung zur Hundehaltung soll Impulskäufe verhindern.
- Konsequenzen bei Nichteinhaltung: Verstöße gegen die Meldepflicht oder der Kauf eines Hundes ohne Genehmigung sollten mit hohen Bußgeldern und einem Haltungs- und Umgangsverbot geahndet werden.