Zusammengefasst von Anja Schirwinski
Seit meine Hündin Frida mit fünf Monaten aus einem rumänischen Shelter zu mir kam, beschäftige ich mich intensiv mit Hundethemen - von Alltagstraining bis Verhaltensbesonderheiten. Viele der Fragen, die in Podcasts besprochen werden, kenne ich aus unserer gemeinsamen Erfahrung nur zu gut. Deshalb fasse ich hier die für mich interessantesten Podcastfolgen zusammen und ergänze sie mit meinen eigenen Erlebnissen mit Frida.
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In dieser Episode von The Petfood Family spricht Moderator Jan Dießner mit Dirk Biller, einem Hundetrainer, Betreiber einer Hundetagesstätte (Huta) und erfolgreichen YouTuber. Gemeinsam tauchen sie tief in die pragmatische und oft ungeschönte Realität des Zusammenlebens und Arbeitens mit Hunden ein.
Die Hauptthemen umfassen den anspruchsvollen Alltag in einer Huta mit bis zu 60 Hunden, die Notwendigkeit klarer Regeln und Konsequenzen im Hundetraining sowie die Motivation hinter Dirk Billers YouTube-Kanal. Diese Episode ist besonders relevant für Hundehalter:innen und angehende Trainer:innen, die einen ehrlichen Einblick jenseits idealisierter Darstellungen suchen. Die zentrale Frage lautet: Welche Anforderungen stellt die moderne Gesellschaft an Hunde und ihre Halter:innen, und wie können wir diesen pragmatisch und fair begegnen?
Das Wichtigste auf einen Blick
- Management einer Huta: Ein harmonisches Zusammenleben von bis zu 60 Hunden erfordert nicht nur Zuneigung, sondern vor allem klare Regeln und konsequentes Handeln. Dirk Biller betont, dass Grenzen liebevoll, aber bestimmt durchgesetzt werden müssen.
- Der Hund als erster Schritt zur Familie: Für viele junge Paare ist der Hund heute der erste Schritt in ein Leben mit gemeinsamer Verantwortung und eine Art Vorbereitung auf eine spätere Familiengründung.
- Pragmatismus vor Dogma: Es gibt nicht den einen richtigen Weg im Hundetraining. Solange das Wohl des Hundes gesichert ist und andere nicht gestört werden, ist die Lösung die richtige, die für das jeweilige Mensch-Hund-Team funktioniert.
- Authentizität auf YouTube: Dirk nutzt seinen Kanal, um ehrliche und ungeschönte Einblicke zu geben. Er will gängige Mythen (z. B. zur Leinenführigkeit oder zum Barfen) aufbrechen und Wissen vermitteln, das im Alltag wirklich hilft.
- Die Huta als erweitertes Rudel: Eine gut geführte Hundetagesstätte bietet Hunden eine wichtige Sozialstruktur, die in der modernen Einzelhaltung oft fehlt. Sie dient als Ort der Auslastung, Sozialisierung und kann sogar zur Resozialisierung verhaltensauffälliger Hunde beitragen.
- Ehrliche Kommunikation ist entscheidend: Als Trainer und Huta-Betreiber ist es essenziell, den Besitzer:innen offenes und direktes Feedback zu geben, auch wenn es um sensible Themen wie Verhaltensprobleme oder die Notwendigkeit einer Kastration geht.
- Akzeptanz der Realität: Kleinere Verletzungen oder Konflikte sind in einer großen Hundegruppe, ähnlich wie bei Kindern auf einem Spielplatz, nicht vollständig vermeidbar. Dies ist ein Teil der Realität, den Halter:innen verstehen müssen.
Einblicke in den Alltag einer Hundetagesstätte (Huta)
Dirk Biller betreibt eine Hundetagesstätte in Köln, in der täglich bis zu 60 Hunde betreut werden. Er erklärt, dass diese Arbeit weit über bloßes Spielen und Streicheln hinausgeht. Der Leitspruch lautet: „So liebevoll wie möglich, aber ebenso konsequent wie nötig.“ Das bedeutet, dass die Mitarbeiter:innen klare Regeln durchsetzen und bei Konflikten oder unerwünschtem Verhalten (z. B. übermäßigem Buddeln oder Belästigen anderer Hunde) konsequent eingreifen. Dies geschieht je nach Situation und Mitarbeiter:in mal durch ein lautes Kommando, mal durch körpersprachliches Wegscheuchen oder im Ernstfall durch physisches Trennen der Hunde.
Für die Hunde erfüllt die Huta verschiedene Funktionen. Für junge, energiegeladene Hunde ist sie ein riesiger Spielplatz zur körperlichen Auslastung. Für andere ist sie eine notwendige Betreuung aufgrund medizinischer Bedürfnisse. Für die meisten ist sie jedoch, so Dirk, eine Art „erweitertes Rudel“. Diese Sozialstruktur, die Hunden in der modernen Welt oft fehlt, bietet eine wertvolle Möglichkeit zur Sozialisierung und Resozialisierung. Selbst Hunde mit aggressivem oder ängstlichem Verhalten konnten hier lernen, wieder angemessen mit Artgenossen zu interagieren.
Der Tagesablauf ist klar strukturiert: Nach der Bringzeit am Morgen folgen Phasen des Spielens und der Interaktion, eine Fütterungszeit und eine wichtige Mittagsruhe, in der die Gruppen getrennt werden, um Überstimulation zu vermeiden. Der Stresslevel hängt dabei weniger von der Anzahl der Hunde als von der Zusammensetzung der Gruppe und dem Wetter ab.
Die Kunst der ehrlichen Kommunikation mit Hundehalter:innen
Ein zentraler Aspekt von Dirks Arbeit ist die offene und direkte Kommunikation mit den Besitzer:innen. Da das Verhalten eines Hundes oft Rückschlüsse auf den Alltag zu Hause zulässt, spricht er Probleme klar an. Er erklärt, dass viele Schwierigkeiten auf eine inkonsistente oder unklare Kommunikation seitens der Halter:innen zurückzuführen sind. Ein Hund, der in der Huta Regeln lernt, verhält sich zu Hause nicht zwangsläufig genauso, da er genau weiß, bei wem er sich was erlauben kann.
Dirk beschreibt, dass solche Gespräche hoch emotional sein können, da Kritik am Hund oft als persönlicher Angriff empfunden wird. Er versucht, Feedback konstruktiv zu verpacken, scheut sich aber nicht, auch unangenehme Wahrheiten auszusprechen - etwa, wenn das Verhalten eines unkastrierten Rüden die Gruppe stört und eine (chemische) Kastration eine sinnvolle Lösung wäre. Vertrauen ist hierbei der Schlüssel. Dirk und sein Team bauen dieses Vertrauen auf, indem sie die Besitzer:innen, besonders in der Anfangszeit, mit Videos und Updates über den Tag versorgen und ihnen versichern, dass ihr Hund gut aufgehoben ist.
Wissensvermittlung auf YouTube: Authentizität statt Perfektion
Dirk Biller begann seinen YouTube-Kanal aus zwei Gründen: Zum einen wollte er wiederkehrende Fragen aus seiner Hundeschule effizient beantworten, indem er Videos zu Themen wie Stubenreinheit oder Treppensteigen erstellte. Zum anderen ärgerte ihn der Mangel an authentischem und pragmatischem Content. Viele Online-Inhalte waren ihm zu idealisiert, zu kompliziert oder suggerierten schnelle Lösungen, die in der Realität nicht funktionieren.
Sein Ansatz ist es, ehrlich, direkt und ungeschminkt zu sein. Er zeigt die Realität des Hundetrainings, auch wenn er dabei selbst dreckig ist. Besonders erfolgreich sind seine „Rassechecks“, in denen er schonungslos die wahren Eigenschaften, Herausforderungen und gesundheitlichen Probleme von Hunderassen benennt - Informationen, die man von Züchtern oft nicht erhält. Seine Motivation ist es, den Menschen wirklich zu helfen und nicht, ein perfektes Image aufzubauen. Diese Authentizität, so glaubt er, ist der Grund für den Erfolg seines Kanals.
Der Hund im Jahr 2024: Zwischen Familienersatz und gesellschaftlicher Verantwortung
Auf die Frage, welche Rolle der Hund heute spielt, hat Dirk eine klare These: Für viele junge Menschen und Paare ist der Hund der erste Schritt in eine Familienstruktur. In einer Zeit voller Unsicherheiten, in der die Entscheidung für ein Kind oft aufgeschoben wird, bietet ein Hund die Möglichkeit, Verantwortung zu übernehmen und sich um ein Lebewesen zu kümmern. Der Hund wird so zu einem wichtigen sozialen Partner, der Struktur und Sinn stiftet.
Dirk hält diese Rolle für fair, da Hunde als Rudeltiere eine tiefe soziale Bindung suchen und die einzigen Tiere sind, die eine artfremde Spezies - den Menschen - vollständig als ihr Rudel akzeptieren. Solange die Grundbedürfnisse des Hundes erfüllt sind, ist er in dieser Rolle in der Regel glücklich. Wichtig ist jedoch, dass Halter:innen ihrer Verantwortung nachkommen und dafür sorgen, dass ihr Hund im gesellschaftlichen Umfeld niemanden belästigt oder gefährdet.
Praktische Lehren aus Dirks Philosophie
- Sei konsequent und klar: Hunde brauchen verlässliche Regeln. Ein „Nein“ muss immer „Nein“ bedeuten, unabhängig von deiner Stimmung oder der Situation. Deine Kommunikation (verbal und nonverbal) sollte für den Hund eindeutig sein.
- Finde individuelle Lösungen: Verabschiede dich von starren Trainingsdogmen. Wenn dein Hund an der Leine zieht, aber einen perfekten Rückruf hat und du damit leben kannst, ist das in Ordnung - solange du niemanden störst. Der Fokus sollte auf einem harmonischen Zusammenleben liegen, nicht auf der Erfüllung eines abstrakten Ideals.
- Sei ehrlich zu dir selbst: Analysiere die Situation deines Hundes realistisch. Manchmal liegt ein Problem nicht am Training, sondern an den Lebensumständen. Ein hochsensibler Hund ist in einer lauten Innenstadt vielleicht dauerhaft überfordert, und ein Umzug könnte die einzige nachhaltige Lösung sein.
- Akzeptiere die Natur des Hundes: Hunde kommunizieren körperlich. Kleinere Auseinandersetzungen, Kratzer oder blaue Flecken können beim Spiel in einer Gruppe vorkommen. Lerne, zwischen einem ernsthaften Kampf und normaler hündischer Interaktion zu unterscheiden und nicht bei jedem Knurren in Panik zu verfallen.
- Informiere dich authentisch: Suche nach Quellen (wie Dirks Kanal), die ein realistisches Bild von Hunderassen und Trainingsmethoden vermitteln. Sei skeptisch gegenüber Hochglanzdarstellungen und schnellen Erfolgsversprechen.