Zusammengefasst von Anja Schirwinski
Seit meine Hündin Frida mit fünf Monaten aus einem rumänischen Shelter zu mir kam, beschäftige ich mich intensiv mit Hundethemen - von Alltagstraining bis Verhaltensbesonderheiten. Viele der Fragen, die in Podcasts besprochen werden, kenne ich aus unserer gemeinsamen Erfahrung nur zu gut. Deshalb fasse ich hier die für mich interessantesten Podcastfolgen zusammen und ergänze sie mit meinen eigenen Erlebnissen mit Frida.
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In dieser Episode des Podcasts "Sitz! Platz! Bleibt!" öffnen die erfahrenen Hundetrainer Nicole Borowy und Sami El Ayachi die Tür zu einem Thema, das oft hinter perfekt inszenierten Social-Media-Posts verborgen bleibt: die Realität des Hundetrainings mit all ihren Herausforderungen, peinlichen Momenten und wertvollen Fehlern. Anhand persönlicher und ehrlicher Anekdoten aus ihrer eigenen Vergangenheit zeigen sie auf, warum die glänzende Fassade der Online-Welt trügerisch sein kann und wie gerade die unperfekten Momente zu den wichtigsten Lektionen für Mensch und Hund werden.
Die Episode richtet sich an alle Hundehaltenden, die sich manchmal von den scheinbar makellosen Erfolgsgeschichten unter Druck gesetzt fühlen. Sie beantwortet die zentrale Frage: Was können wir aus den Situationen lernen, in denen nicht alles nach Plan läuft, und wie entwickeln wir daraus eine stärkere, ehrlichere Beziehung zu unseren Hunden?
Das Wichtigste auf einen Blick
- Social Media ist nicht die Realität: Die perfekten Bilder und Videos online zeigen nur Momentaufnahmen. Sie verschleiern oft den langen, mühsamen Weg und die Rückschläge, die Teil jedes Trainingsprozesses sind.
- Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht: Aktivitäten wie exzessives Ballspielen können, ohne das nötige Hintergrundwissen, unerwünschte Instinkte wie Jagdverhalten oder Ressourcenverteidigung massiv verstärken und zu ernsten Problemen führen.
- Fehler sind menschlich (auch für Profis): Selbst erfahrene Trainer:innen erleben peinliche oder frustrierende Momente. Diese Erfahrungen zu akzeptieren und daraus zu lernen, ist ein Zeichen von Stärke und fördert das Einfühlungsvermögen.
- Freiheit muss erlernt werden: Einem jungen Hund zu früh zu viel unkontrollierten Freiraum zu geben, kann problematische Verhaltensweisen wie Jagen oder das Ignorieren des Rückrufs festigen. Impulskontrolle ist eine Fähigkeit, die aktiv trainiert werden muss.
- Konsequenz schlägt Perfektion: Nicole betont, wie wichtig es ist, bei einer gewählten Trainingsmethode zu bleiben und ihr Zeit zu geben (mindestens vier bis sechs Wochen), anstatt ständig zwischen verschiedenen Ansätzen zu wechseln.
- Verhalten ist Kommunikation: Wenn ein Hund dich mit seinem Verhalten herausfordert oder nervt, sieh es als Einladung zu einem „Mitarbeitergespräch“, um eure gemeinsame Basis und Kommunikation zu überprüfen.
Die Falle des perfekten Bildes: Social Media vs. Realität
Sami leitet die Diskussion mit einer Beobachtung ein, die viele Hundebesitzer:innen kennen: die Flut von idealisierten Hundevideos auf Plattformen wie Instagram. Er beschreibt, wie oft nur die „Wow-Momente“ gezeigt werden - der Hund, der athletisch durch den Schnee springt -, während die weniger glamouröse Realität - der gleiche Hund Minuten später, voll mit Schneeklumpen und kaum noch lauffähig - ausgeblendet wird. Diese selektive Darstellung, so Sami, erzeugt ein Zerrbild und setzt andere Halter:innen unter Druck. Es wird der Eindruck erweckt, perfektes Verhalten sei leicht und schnell erreichbar, während der mühsame Weg dorthin und die unvermeidlichen Rückschläge unsichtbar bleiben.
Wenn Training nach hinten losgeht: Samis Lektionen mit Briard Paul
Um zu verdeutlichen, wie gut gemeintes Training gefährliche Folgen haben kann, teilt Sami die Geschichte seines Briards Paul. In dem Glauben, seinem Hund eine Freude zu machen, spielte er als junger Halter exzessiv Ball mit ihm. Was als harmloses Spiel begann, eskalierte schnell: Paul entwickelte eine regelrechte Sucht, wurde zum „Ball-Junkie“. Dieses hochgepushte Jagdverhalten übertrug sich auf den Alltag. Der Höhepunkt war eine Situation, in der Paul einen Reiter in 800 Metern Entfernung als Beute fixierte und im Vollsprint auf ihn zujagte. Erst im letzten Moment brach er ab. Sami erklärt, dass dieses Verhalten hausgemacht war: Das ständige Hetzen und Packen des Balls hatte den angeborenen Jagdtrieb des Hundes massiv verstärkt.
Eine weitere prägende Erfahrung machte er, als er Paul bei einem Hüteeignungstest an Schafen arbeiten ließ. Der Hund zeigte enormes Talent, was Sami zunächst mit Stolz erfüllte. Später führte diese „Freischaltung“ seiner genetischen Anlagen jedoch dazu, dass Paul eine unbeaufsichtigte Schafherde aufmischte, was zu einer gefährlichen Situation führte. Diese Erlebnisse lehrten Sami, wie wichtig es ist, die genetischen Veranlagungen eines Hundes zu verstehen und sie nicht unkontrolliert zu fördern.
Die Tücken von zu viel Freiheit: Nicoles Erfahrungen mit Carlo und Sherlock
Auch Nicole berichtet von Momenten, die sie an ihre Grenzen brachten. Mit ihrem Hund Carlo erlebte sie, wie schwierig es sein kann, einen sozial motivierten Hund zu kontrollieren. In einem Hundeauslaufgebiet schloss sich Carlo einfach einer fremden Gruppe von Spaziergängern an und war für Nicole unerreichbar. Sie rannte ihm hunderte Meter brüllend hinterher - eine Situation, die sie als zutiefst frustrierend und peinlich empfand. Sie gibt zu, dass sie es damals nicht besser wusste und die Situation durch zu viel unstrukturierten Freilauf selbst begünstigt hatte.
Eine ähnliche Lektion lernte sie mit ihrem Hund Sherlock. Bei einer Kitzsuche im Jagdrevier gab sie dem noch nicht einmal einjährigen Hund Freilauf. Als ein Reh seinen Weg kreuzte, war Sherlocks Jagdinstinkt geweckt, und er war weg. Nicole stellt klar, dass dieser eine Moment in der Pubertät ausreichte, um ein Jagdthema zu etablieren, das sie bis heute begleitet. Ihre Schlussfolgerung: Ein gezieltes und frühes Training der Impulskontrolle wäre entscheidend gewesen, um dies zu verhindern.
Auch Profis sind nur Menschen: Von peinlichen Momenten und Empathie
Beide Hosts sind sich einig, dass gerade die peinlichen Momente, in denen die eigenen Hunde vor Publikum „versagen“, prägend sind. Nicole erzählt lachend von ihrem ersten Longier-Workshop bei Sami, bei dem ihr Hund Carlo das komplette Programm an unerwünschtem Verhalten zeigte: Er sprang hoch, biss in die Leine und war nicht in der Lage, ruhig auf den Platz zu gehen. Sami wiederum berichtet von einem eigenen Workshop, bei dem sein sonst so zuverlässiger Hund Paul plötzlich über einen Zaun sprang, um Schafe zu hüten - direkt vor den Augen seiner Teilnehmer:innen. Anstatt ihn als Experten zu demontieren, reagierten die Teilnehmenden positiv und erleichtert, dass auch einem Profi so etwas passiert. Diese Erlebnisse, so Sami, schaffen Authentizität und Empathie und zeigen, dass Hundetraining ein ständiger Prozess ist, der Demut erfordert.
Praktische Schritte für deinen Alltag
- Hinterfrage Social-Media-Trends: Bevor du einen Trainingstipp aus einem kurzen Video übernimmst, frage dich kritisch: Passt das zu meinem Hund, seiner Rasse und unserem Alltag? Ist der gezeigte Weg wirklich sicher und nachhaltig?
- Verstehe die Genetik deines Hundes: Informiere dich über die ursprünglichen Aufgaben und Instinkte der Rasse deines Hundes. Vermeide Spiele und Aktivitäten, die problematische Verhaltensweisen (z. B. unkontrolliertes Jagen, extremes Territorialverhalten) unbewusst fördern könnten.
- Trainiere Impulskontrolle aktiv: Gib deinem Hund Freiheit nicht einfach, sondern bringe ihm bei, damit umzugehen. Übe das Warten, den Verzicht und die Ruhe in reizvollen Situationen kleinschrittig und konsequent.
- Bleib an einer Methode dran: Wähle einen Trainingsansatz, der zu dir und deinem Hund passt, und verfolge ihn für mehrere Wochen konsequent. Ständiges Wechseln der Methode verwirrt den Hund und verhindert nachhaltige Lernerfolge.
- Akzeptiere die Unvollkommenheit: Es wird immer Tage geben, an denen nichts funktioniert. Sei nachsichtig mit dir und deinem Hund. Nutze Rückschläge als Chance, dazuzulernen, anstatt dich entmutigen zu lassen.