Zusammengefasst von Anja Schirwinski
Seit meine Hündin Frida mit fünf Monaten aus einem rumänischen Shelter zu mir kam, beschäftige ich mich intensiv mit Hundethemen - von Alltagstraining bis Verhaltensbesonderheiten. Viele der Fragen, die in Podcasts besprochen werden, kenne ich aus unserer gemeinsamen Erfahrung nur zu gut. Deshalb fasse ich hier die für mich interessantesten Podcastfolgen zusammen und ergänze sie mit meinen eigenen Erlebnissen mit Frida.
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In dieser Episode des Podcasts The Petfood Family spricht der Host Jan mit Julia Goyer, Hundetrainerin und Inhaberin der Hundeschule „Seelenhunde“. Julia ist nicht nur als Trainerin in der Präsenzarbeit tätig, sondern auch auf Instagram aktiv. Das Gespräch beleuchtet die Spannungsfelder zwischen professionellem Hundetraining und der oft idealisierten Darstellung auf Social Media, die Herausforderungen im Umgang mit gesellschaftlichen Erwartungen an Hunde und die tiefgreifenden Kommunikationsprobleme innerhalb der Hundeszene.
Die Episode ist besonders relevant für Hundehalter:innen, die sich vom Druck durch soziale Medien und gesellschaftliche Normen überfordert fühlen. Sie bietet eine ehrliche Auseinandersetzung mit der Frage, wie wir zu einem realistischeren, respektvolleren und letztlich faireren Miteinander für Mensch und Hund finden können.
Das Wichtigste auf einen Blick
- Verantwortung auf Social Media: Julia betont, dass Hundetrainer:innen auf Plattformen wie Instagram eine größere Verantwortung tragen als private Halter:innen. Es sei problematisch, wenn Influencer ohne fundierte Ausbildung ihre persönlichen Erfahrungen als allgemeingültige Ratschläge verkaufen.
- Das Trugbild des „Plüschtier-Hundes“: Die Gesellschaft und die Medien vermitteln oft das unrealistische Bild eines stets perfekten, anspruchslosen Hundes. Diese Erwartungshaltung führt zu Frustration bei Halter:innen und ignoriert die wahren Bedürfnisse der Tiere.
- Die „Tutnix“-Kultur als Respektproblem: Der umgangssprachliche Begriff „Tutnix-Besitzer“ beschreibt laut Julia Menschen, die die Grenzen anderer missachten, indem sie ihre Hunde unkontrolliert auf andere zulaufen lassen. Dies sei ein Symptom für einen Mangel an Empathie und Respekt in der Hundeszene.
- Authentizität statt Perfektion: Julia plädiert dafür, auch die ungeschönte Realität des Lebens mit Hunden zu zeigen. Authentische Inhalte, die auch Schwierigkeiten thematisieren, können eine unterstützende und realistische Gemeinschaft fördern.
- Kommunikationskrise in der Hundewelt: Die Szene ist stark polarisiert. Viele Akteure verharren in ihrer eigenen Blase und sind nicht bereit, andere Perspektiven zu verstehen oder einen konstruktiven Dialog zu führen.
- Grenzen von Online-Beratung: Instagram kann zwar Bewusstsein schaffen und zum Nachdenken anregen, aber es kann niemals eine individuelle, professionelle Betreuung durch eine:n Trainer:in vor Ort ersetzen.
- Forderung nach Professionalisierung: Julia kritisiert die willkürliche und uneinheitliche Zertifizierung von Hundetrainer:innen (nach §11 TSchG) und fordert ein bundesweit einheitliches, methodenpluralistisches Prüfsystem, um die Qualität im Hundetraining zu sichern.
Hundetrainerin und Instagram: Verantwortung in der digitalen Welt
Julia erklärt, dass sie bewusst zuerst den Weg zur Hundetrainerin einschlug, bevor sie auf Instagram aktiv wurde. Sie hält diese Reihenfolge für essenziell, da eine fundierte Ausbildung und praktische Erfahrung im Umgang mit verschiedensten Mensch-Hund-Teams die Grundlage für verantwortungsvolle Inhalte bilden. Julia kritisiert den Trend, dass Personen ohne formale Qualifikation, basierend auf der Erfahrung mit ihrem eigenen Hund, pauschale Ratschläge erteilen. Dies führe zur Verbreitung von Idealbildern und Trainingsansätzen, die für andere Teams unpassend oder sogar schädlich sein können.
Sie unterscheidet klar zwischen dem Teilen einer persönlichen Reise und dem Anmaßen einer Expertenrolle. Als Trainerin sei ihr bewusst, welchen Einfluss ihre Aussagen haben können, und sie nutzt ihre Plattform, um zu reflektieren und zum Nachdenken anzuregen, anstatt einfache Lösungen zu versprechen. Der Host Jan bestätigt, dass diese von Social Media geprägten Erwartungen eine wachsende Herausforderung in der täglichen Arbeit von Hundetrainer:innen darstellen.
Das Trugbild des perfekten Hundes: Warum „Gesellschaftsfähigkeit“ ein Problem ist
Ein zentrales Thema des Gesprächs ist die gesellschaftliche Erwartung an den Hund als perfektes „Plüschtier“. Laut Julia gilt ein Hund in der öffentlichen Wahrnehmung oft dann als „nicht gesellschaftsfähig“, wenn er natürliche Verhaltensweisen wie Bellen, an der Leine ziehen oder das Bedürfnis nach Abstand zeigt. Dieses Idealbild werde durch Filme, Serien und soziale Medien verstärkt und führe zu einem enormen Druck auf Hundehalter:innen.
In ihrer Arbeit als Trainerin sei es daher oft eine ihrer ersten Aufgaben, die Erwartungen ihrer Kund:innen auf ein realistisches Maß zurückzuführen. Sie erklärt, dass fast kein Hund von Natur aus diesem Ideal entspricht und dass selbst Hunde, die als unproblematisch wahrgenommen werden (z. B. kleine, niedliche Rassen), oft missverstanden werden und ihre Stresssignale unbeachtet bleiben.
Konflikt und Kommunikation: Die „Tutnix“-Kultur und der Mangel an Respekt
Julia beschreibt die sogenannte „Tutnix-Kultur“ als ein weitverbreitetes Problem. Der Begriff steht für Hundehalter:innen, die ihre Hunde unangeleint und ohne Rücksicht auf andere auf fremde Menschen oder Hunde zulaufen lassen, oft begleitet von Sätzen wie „Der tut nichts“ oder „Der will nur spielen“. Julia sieht darin ein fundamentales Problem von mangelndem Respekt und fehlender Empathie. Die Freiheit des einen ende dort, wo die des anderen beginnt - ein Grundsatz, der hier systematisch verletzt werde.
Aus ihrer persönlichen Perspektive als Hundehalterin gibt sie zu, mittlerweile müde geworden zu sein, in solchen Situationen zu diskutieren, da die Fronten meist verhärtet sind. Dieses rücksichtslose Verhalten innerhalb der Hundeszene schade, so Julia und Jan, auch dem Ansehen von Hundehalter:innen insgesamt, was sich beispielsweise bei der Wohnungs- oder Feriendomizilsuche bemerkbar macht.
Plädoyer für Authentizität und einen offenen Dialog in der Hundeszene
Julia beobachtet eine starke Polarisierung in der Hundewelt. Verschiedene Lager bekriegen sich regelrecht und behaupten, den einzig wahren Weg im Hundetraining zu kennen. Sie wünscht sich mehr Offenheit, Toleranz und einen „Methodenpluralismus“, bei dem anerkannt wird, dass unterschiedliche Wege zum Ziel führen können. Im Kern, so Julia, wollen doch alle nur das Beste für ihren Hund - selbst der „Tutnix-Otto“ handle aus der Überzeugung, seinem Hund etwas Gutes zu tun.
Auf ihrem Instagram-Kanal setzt sie diese Philosophie um, indem sie bewusst auch kontroverse oder unangenehme Themen anspricht. Dazu gehören die Aufklärung über Maulkorbtragen, Qualzucht oder die Notwendigkeit, Hunden fair und angemessen Grenzen zu setzen. Sie nimmt dabei in Kauf, Follower zu verlieren, da es ihr wichtiger ist, zum Nachdenken anzuregen und eine Community von Menschen zu schaffen, die an einem ehrlichen Austausch interessiert sind.
Praktische Ansätze für einen reflektierten Umgang
Das Gespräch liefert wertvolle Denkanstöße für einen bewussteren Umgang im Alltag mit Hund und in der digitalen Welt. Folgende Ansätze lassen sich daraus ableiten:
- Konsumiere Social-Media-Inhalte bewusst: Hinterfrage pauschale Tipps und idealisierte Darstellungen. Erinnere dich daran, dass jedes Mensch-Hund-Team individuell ist und es keine Universallösungen gibt.
- Setze realistische Erwartungen: Verabschiede dich vom Wunsch nach einem „perfekten“ Hund. Lerne stattdessen, die Persönlichkeit und die individuellen Bedürfnisse deines Hundes zu verstehen und zu respektieren.
- Übe Rücksichtnahme und Respekt: Achte auf die Grenzen anderer Menschen und Hunde. Leine deinen Hund an, wenn es die Situation erfordert, und respektiere ein klares „Nein“ von anderen Halter:innen.
- Suche professionelle Hilfe vor Ort: Nutze Instagram zur Inspiration und für den Austausch, aber wende dich bei konkreten Verhaltensproblemen an eine qualifizierte Hundetrainer:in für eine individuelle Betreuung.
- Stehe für deinen Hund ein: Vertrete die Bedürfnisse deines Hundes selbstbewusst, auch gegenüber Menschen, die diese nicht nachvollziehen können. Der Austausch in Online-Communities kann dabei helfen, sich in der eigenen Haltung bestärkt zu fühlen.