Zusammengefasst von Anja Schirwinski
Seit meine Hündin Frida mit fünf Monaten aus einem rumänischen Shelter zu mir kam, beschäftige ich mich intensiv mit Hundethemen - von Alltagstraining bis Verhaltensbesonderheiten. Viele der Fragen, die in Podcasts besprochen werden, kenne ich aus unserer gemeinsamen Erfahrung nur zu gut. Deshalb fasse ich hier die für mich interessantesten Podcastfolgen zusammen und ergänze sie mit meinen eigenen Erlebnissen mit Frida.
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In dieser Episode des Podcasts The Petfood Family spricht Moderator Jan Dießner mit Marc Eichstedt, einem erfahrenen Hundetrainer, Dozenten im Martin Rütter DOGS-Netzwerk und TV-Experten. Marc gibt tiefgehende Einblicke in seine 17-jährige Berufserfahrung und teilt seine Perspektive auf die universellen Herausforderungen im Zusammenleben von Mensch und Hund.
Die zentralen Themen sind die unveränderten Kernprobleme im Hundetraining, der wachsende Druck durch soziale Medien und die entscheidende Rolle des Trainers als Coach für den Menschen. Diese Episode ist besonders relevant für Hundehalter:innen, angehende Trainer:innen und alle, die ein tieferes Verständnis für die Dynamik zwischen Mensch und Hund suchen. Sie beleuchtet die Leitfrage, was effektives, faires und ethisch verantwortungsvolles Hundetraining heute ausmacht.
Das Wichtigste auf einen Blick
- Hundeprobleme sind universell: Laut Marc haben sich die grundlegenden Verhaltensprobleme bei Hunden über die Jahre und sogar über Kontinente hinweg kaum verändert. Die größte Herausforderung sind oft die gestiegenen Erwartungen der Halter, die durch soziale Medien und einen Trend zur Überbehütung ("Helikopter-Eltern") verstärkt werden.
- Der Hund ist Experte für seinen Körper: Im Training und besonders im Hundesport ist es entscheidend, die physischen und mentalen Grenzen des Hundes zu respektieren. Anstatt ein bestimmtes Verhalten zu erzwingen, sollte man die natürlichen Anlagen des Hundes als Ausgangspunkt nehmen.
- Erfolgreiche Hundetrainer sind Menschentrainer: Die Fähigkeit, den Menschen am anderen Ende der Leine zu verstehen, zu motivieren und anzuleiten, ist wichtiger als reines Fachwissen über Hunde.
- Spaß ist der stärkste Motivator: Echte, vom Menschen empfundene Freude während des Trainings und Spiels ist eine der wirkungsvollsten Belohnungen. Eine rein mechanische Futtergabe ohne soziale Komponente verfehlt oft ihr Ziel.
- Grenzen des Trainings anerkennen: Nicht jedes Verhalten kann vollständig "repariert" werden, insbesondere bei tief sitzenden Ängsten oder Traumata. Ein verantwortungsvoller Ansatz bedeutet, diese Grenzen zu akzeptieren und stattdessen den Alltag sicher und lebenswert zu gestalten.
- Aggression ist Kommunikation: Aggressives Verhalten ist ein normaler Teil des hündischen Ausdrucksverhaltens. Das Ziel sollte nicht die vollständige Unterdrückung sein, sondern das Management und das Lehren einer angemessenen Streitkultur.
Die universellen Herausforderungen im modernen Hundetraining
Marc stellt zu Beginn klar, dass sich die typischen Probleme, mit denen Hundehalter:innen ins Training kommen, über die Jahre kaum verändert haben. Themen wie Leinenführigkeit, Jagdverhalten oder Alleinbleiben sind Dauerbrenner. Er beobachtet jedoch eine Veränderung in der Haltung der Menschen. Ein Phänomen, das er als „Helikopter-Eltern“ beschreibt, führt dazu, dass Hunde überbehütet und ihnen wichtige Lernerfahrungen vorenthalten werden. „Dieses wirklich bewahren wollen vor jedem Übel finde ich gut, aber es behindert halt auch die Entwicklung eines normalen Hundes“, erklärt Marc. Er betont, dass Hunde auch lernen müssen, mit Frustration und Konflikten umzugehen.
Gleichzeitig erzeugt der ständige Vergleich in den sozialen Medien einen enormen Druck. Da meist nur perfekte Ergebnisse gezeigt werden, entsteht bei vielen Halter:innen der Eindruck, ihr Hund sei der einzige mit Problemen. Marc plädiert dafür, eine gesunde Fehlerkultur zu etablieren und zu akzeptieren, dass Scheitern ein normaler Teil des Lernprozesses ist - für Mensch und Hund.
Die Kunst, den Menschen zu trainieren: Der Schlüssel zum Erfolg
Ein zentraler Punkt des Gesprächs ist die Erkenntnis, dass Hundetraining in erster Linie Menschentraining ist. „Du bist theoretisch Menschentrainer“, sagt Jan, und Marc stimmt uneingeschränkt zu. Marc berichtet, wie ihm seine zwölfjährige Erfahrung als Soldat bei der Bundeswehr geholfen hat, Menschen zu motivieren und komplexe Sachverhalte verständlich zu vermitteln. Diese Fähigkeit, den Menschen „ins Boot zu holen“, sei entscheidend für den Trainingserfolg.
Er beschreibt, dass viele fachlich exzellente Trainer:innen daran scheitern, ihr Wissen effektiv an die Halter:innen weiterzugeben. Der Erfolg hängt davon ab, die Ursache eines Verhaltens zu erklären und ein gemeinsames, realistisches Ziel zu definieren. Wenn der Mensch versteht, warum sein Hund ein bestimmtes Verhalten zeigt, steigt die Motivation, die notwendigen Schritte konsequent umzusetzen.
Vom eigenen Problemhund zum gefragten Experten: Marcs Werdegang
Marc erzählt offen von seinem eigenen, eher holprigen Start in die Hundehaltung. Sein erster Hund, ein Mops, war von einer Qualzucht betroffen und entwickelte diverse Verhaltensprobleme. Auf der Suche nach Hilfe stieß er durch Zufall auf Martin Rütter im Fernsehen. Fasziniert von dessen Ansatz besuchte er Vorträge, Seminare und bewarb sich schließlich für die allererste Ausbildung im neu gegründeten Martin Rütter DOGS-Netzwerk.
Er beschreibt diesen Anfang als eine mutige, aber prägende Zeit, in der das System noch im Aufbau war. Diese Pionierphase ermöglichte ihm, die Entwicklung des Netzwerks von Grund auf mitzuerleben. Heute ist er selbst als Dozent tätig und gibt sein Wissen an neue Generationen von Trainer:innen weiter. Später sammelte er auch Erfahrungen im Fernsehen, unter anderem bei Formaten wie „Rütters Team“ und „Die Welpen kommen“. Dabei war für ihn stets die oberste Priorität, dass das Wohl des Hundes uneingeschränkt im Vordergrund steht - eine Bedingung, die von der Produktion vollständig unterstützt wurde.
Grenzen des Trainings und die Ethik der Verantwortung
Ein wichtiger Aspekt, den Marc hervorhebt, sind die Grenzen des Trainings. Er schätzt, dass bei etwa einem Viertel der Fälle ein Punkt erreicht wird, an dem eine vollständige Verhaltensänderung nicht mehr möglich ist, insbesondere bei Hunden mit Traumata oder tief verwurzelten Ängsten. Anstatt falschen Hoffnungen nachzujagen, sieht er seine Aufgabe darin, den Halter:innen zu helfen, die Situation zu akzeptieren und den Alltag so zu managen, dass ein sicheres und stressfreies Zusammenleben möglich ist.
Diese ethische Verantwortung zeigt sich auch in seiner früheren Tätigkeit als Dozent an einer Akademie für tiergestützte Therapie. Er betont, wie wichtig es war, Hunde nicht als therapeutische Werkzeuge zu missbrauchen. Das Konzept beinhaltete einen strengen Eignungstest für die Hunde, fundierte Schulungen zur Körpersprache und zum Stressmanagement sowie die klare Regel, dass der Hund als „Mitarbeiter“ mit Recht auf Pausen, Urlaub und Schutz vor Überforderung zu sehen ist. „Der Hund ist hier nicht der Therapeut“, erklärt Marc, sondern ein Begleiter, der den therapeutischen Prozess unterstützen kann.
Spezialgebiet Aggression: Ein Plädoyer für Verständnis
Über die Jahre hat sich Marc auf das Thema Aggressionsverhalten spezialisiert. Er findet die Vielschichtigkeit dieses Themas faszinierend und sieht hier die größten Erfolge in Bezug auf die Lebensqualität von Hunden und Halter:innen. Er erklärt, dass Aggression ein normaler und wichtiger Teil der hündischen Kommunikation ist. Oft wird sie fälschlicherweise als gestörtes Verhalten interpretiert, obwohl der Hund lediglich seine Grenzen kommuniziert. Das Ziel des Trainings ist es daher nicht, Aggression komplett zu unterbinden, sondern sie in sozialverträgliche Bahnen zu lenken und dem Hund alternative Strategien beizubringen.
Praktische Ansätze für Hundehalter
- Setze realistische Erwartungen: Konzentriere dich auf ein harmonisches Zusammenleben statt auf das von sozialen Medien propagierte Bild des „perfekten“ Hundes.
- Lass deinen Hund Erfahrungen machen: Vermeide übermäßige Behütung. Ermögliche deinem Hund, insbesondere im Welpenalter, unter deiner Aufsicht soziale Erfahrungen zu sammeln und eigene Lösungsstrategien zu entwickeln.
- Nutze Spaß als Motivation: Deine eigene, authentische Freude ist eine der stärksten Belohnungen für deinen Hund. Gestalte das Training so, dass es euch beiden Spaß macht.
- Respektiere die Grenzen deines Hundes: Wenn dein Hund bei einer Übung anhaltendes Unbehagen oder Meideverhalten zeigt, hinterfrage den Ansatz, anstatt ihn zu zwingen. Der Hund ist der Experte für seinen eigenen Körper.
- Entwickle einen Plan B: Wenn sich ein Problemverhalten nicht vollständig beheben lässt, arbeite mit einem Profi an Managementstrategien, die Sicherheit und eine hohe Lebensqualität für alle Beteiligten gewährleisten.