Zusammengefasst von Anja Schirwinski
Seit meine Hündin Frida mit fünf Monaten aus einem rumänischen Shelter zu mir kam, beschäftige ich mich intensiv mit Hundethemen - von Alltagstraining bis Verhaltensbesonderheiten. Viele der Fragen, die in Podcasts besprochen werden, kenne ich aus unserer gemeinsamen Erfahrung nur zu gut. Deshalb fasse ich hier die für mich interessantesten Podcastfolgen zusammen und ergänze sie mit meinen eigenen Erlebnissen mit Frida.
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In dieser praxisnahen Episode des Podcasts Hundsf(a)elle sprechen die Moderatoren Yvonne Nawrat und Mustafa Irmak mit dem Tierarzt und Blogger Dr. Ralph Rückert über ein Thema, das vielen Hundehaltern Sorgen bereitet: der richtige Umgang mit Silvester-Stress beim Hund. Dr. Rückert teilt seine 35-jährige Praxiserfahrung und gibt wertvolle Einblicke, wie du deinem Vierbeiner helfen kannst, die laute und hektische Zeit um den Jahreswechsel sicher zu überstehen.
Die zentralen Themen der Folge sind die Ursachen der Silvesterangst, die Grenzen von Verhaltenstraining bei panischen Hunden und die entscheidende Rolle von Managementmaßnahmen. Es wird diskutiert, welche sanften Unterstützungsmethoden es gibt, welche Medikamente wirklich helfen und von welchen man die Finger lassen sollte. Die Episode richtet sich besonders an Ersthundehalter und liefert einen klaren Fahrplan, um die Situation proaktiv zu gestalten und nicht erst in letzter Minute reagieren zu müssen.
Das Wichtigste auf einen Blick
- Panische Angst ist kaum abtrainierbar: Echte Panikattacken bei Hunden lassen sich laut Dr. Rückert und den Moderatoren nur schwer durch Training (z. B. mit Geräusch-CDs) beheben. Der Fokus sollte auf effektiven Managementmaßnahmen liegen, um dem Hund die Situation zu erleichtern.
- Frühzeitige Vorbereitung ist entscheidend: Wer sich bereits Anfang Dezember mit dem Thema befasst, kann in Ruhe Maßnahmen ergreifen, Medikamente nach tierärztlicher Absprache testen und vermeidet den Stress kurz vor den Feiertagen.
- Deine Ruhe überträgt sich: Hunde sind extrem sensibel für die Stimmungen ihrer Menschen. Deine eigene Gelassenheit ist eine der wichtigsten Stützen, die du deinem Hund bieten kannst.
- Gefahrenquellen meiden: Passe deine Spaziergänge in den Tagen um Silvester an. Meide Wohngebiete und suche ruhige Orte wie Wälder oder Felder auf, um negative Erlebnisse zu verhindern.
- Vorsicht bei Medikamenten: Der Wirkstoff Acepromazin (oft als „Leck-mich-am-Arsch-Tablette“ bekannt) lähmt den Hund nur körperlich, während die Angst im Inneren weiter tobt. Dies sollte unbedingt vermieden werden.
- Der richtige Weg führt zum Tierarzt: Für Hunde mit starker Angst gibt es zugelassene, angstlösende Medikamente. Eine professionelle Beratung ist hier unerlässlich, um das passende Präparat zu finden.
- Der Eierlikör-Tipp als Notlösung: Dr. Rückert erklärt die Hintergründe seines bekannten Tipps. Er betont, dass dies keine Erste-Wahl-Lösung ist, sondern als Harm-Reduction-Ansatz gedacht war, um unkontrollierte Alkoholgaben zu verhindern.
Warum Silvester für Hunde eine Extremsituation ist
Dr. Ralph Rückert erklärt, dass wir Menschen uns kaum vorstellen können, wie Hunde die Welt um Silvester wahrnehmen. Ihre Sinnesleistungen, insbesondere der Geruchs- und Gehörsinn, sind unseren weit überlegen. Hunde nehmen nicht nur die lauten Knalle, sondern auch den penetranten Geruch des Feuerwerks und die allgemeine Hektik und Anspannung der Menschen wahr. Selbst die veränderte Atmosphäre „zwischen den Jahren“ - die Aufregung, die Besuche, der Stress der Besitzer - entgeht ihnen nicht. Diese Flut an ungewöhnlichen Sinneseindrücken macht Silvester zu einer einzigartigen und für viele Hunde extrem belastenden Ausnahmesituation.
Interessanterweise, so stellt Dr. Rückert fest, entwickelt sich die Angst oft schleichend. Ein Hund kann seine ersten beiden Jahreswechsel völlig unbeeindruckt erleben, nur um im dritten oder vierten Jahr plötzlich panische Reaktionen zu zeigen. Dieses Phänomen ist unvorhersehbar und nicht zwangsläufig an eine schlechte Erfahrung gekoppelt.
Die Grenzen des Trainings und die Macht des Managements
Sowohl Yvonne und Mustafa als auch Dr. Rückert sind sich einig: Eine tief verankerte, panische Angst vor Silvester lässt sich kaum „wegtrainieren“. Versuche, den Hund mittels Geräusch-Aufnahmen zu desensibilisieren, scheitern oft, da die reale Situation nicht reproduzierbar ist. Es fehlen entscheidende Reize wie die Lichtblitze, der Geruch, der veränderte Luftdruck und die spürbare Anspannung der Umgebung. Stattdessen liegt der Schlüssel im proaktiven Management. Es geht darum, dem Hund zu helfen, die Nacht so unbeschadet wie möglich zu überstehen und zu verhindern, dass sich die Angst durch wiederholte negative Erlebnisse in einer Negativspirale verfestigt - der „Angst vor der Angst“.
Medizinische Unterstützung: Was wirklich hilft und was schadet
Ein zentraler Punkt der Diskussion ist der richtige Einsatz von Medikamenten. Dr. Rückert warnt eindringlich vor dem Wirkstoff Acepromazin, der oft als die sogenannte „Leck-mich-am-Arsch-Tablette“ verschrieben wird. Dieses Mittel macht den Hund zwar bewegungsunfähig, lindert aber die Angst nicht. Der Hund erlebt die Panik bei vollem Bewusstsein, kann aber nicht reagieren - eine für das Tier furchtbare Erfahrung.
Wirklich angstlösend (anxiolytisch) wirken hingegen Präparate aus der Gruppe der Benzodiazepine wie Alprazolam. Dr. Rückert erklärt jedoch, dass Tierärzte aufgrund der sogenannten EU-Kaskadenregelung gesetzlich verpflichtet sind, zuerst speziell für die Geräuschangst beim Hund zugelassene Medikamente zu verschreiben. Dazu gehören Präparate wie Sileo, Pexion oder das neuere Tessie. Erst wenn diese nachweislich nicht wirken, darf auf Humanpräparate zurückgegriffen werden. Ein frühzeitiges Gespräch mit dem Tierarzt ist daher unerlässlich, um das richtige Medikament zu finden und idealerweise einen Probelauf vor dem Ernstfall durchzuführen.
Der umstrittene Eierlikör-Tipp: Aufklärung statt Tabu
Dr. Rückert spricht offen über seinen berühmt-berüchtigten Blogartikel zum Thema Eierlikör. Seine Motivation war nicht, Alkohol als Allheilmittel zu bewerben, sondern eine Form der Schadensbegrenzung zu betreiben. Da er wusste, dass Alkohol als Hausmittel bereits im Umlauf war, wollte er eine Anleitung zur sicheren Dosierung geben, um gefährliche Überdosierungen zu verhindern. Seine Formel zielt auf einen maximalen Blutalkoholspiegel von 0,5 Promille ab, um eine leicht beruhigende und angstlösende Wirkung zu erzielen, ohne den Hund zu berauschen.
Er betont jedoch unmissverständlich: Dies ist keine Erste-Wahl-Empfehlung. Der korrekte und sicherste Weg bei Silvesterpanik führt immer über eine tierärztliche Beratung und den Einsatz zugelassener Medikamente. Der Eierlikör-Tipp sollte nur als absolute Notlösung in Betracht gezogen werden, wenn andere Optionen versagt haben oder nicht verfügbar sind.
Praktische Schritte für einen ruhigeren Jahreswechsel
- Frühzeitige Planung (Anfang Dezember): Analysiere die Situation. Zeigte dein Hund letztes Jahr Anzeichen von Stress? Dann ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um mit deinem Tierarzt zu sprechen und einen Plan zu machen.
- Management im Alltag: Passe ab Mitte Dezember deine Spaziergänge an. Meide belebte Gegenden, besonders abends. Fahre lieber ins Grüne, um das Risiko von plötzlichen Knallern zu minimieren. Sichere deinen Hund dabei stets gut.
- Sanfte Unterstützung: Beginne frühzeitig mit beruhigenden Maßnahmen. Pheromon-Verdampfer (z. B. Adaptil) oder Nahrungsergänzungsmittel (z.B. Zylkene) können bei leichter Unruhe helfen.
- Sicherer Rückzugsort: Richte deinem Hund zu Hause eine gemütliche „Höhle“ ein - einen abgedunkelten Raum, vielleicht sogar im Keller, wo er sich sicher fühlt. Lass Rollläden herunter und schalte leise Musik oder den Fernseher ein, um Außengeräusche zu überdecken.
- Tierärztliche Beratung einholen: Bei starker oder panischer Angst ist der Gang zum Tierarzt unerlässlich. Lasse dich zu modernen, angstlösenden Medikamenten beraten, die deinem Hund wirklich helfen.
- Probelauf für Medikamente: Teste jedes verschriebene Medikament unbedingt einige Tage vor Silvester. So könnt ihr die individuelle Reaktion und die passende Dosierung in einer ruhigen Umgebung herausfinden.
- Bleib selbst die Ruhe in Person: Deine Gelassenheit ist die wichtigste Stütze für deinen Hund. Vermeide Hektik oder übertriebenes Mitleid. Biete stattdessen souveräne körperliche Nähe und strahle Sicherheit aus.
- Der Silvesterabend: Gehe die letzte Gassirunde, bevor die Hauptknallerei beginnt, und sichere deinen Hund doppelt (z. B. mit Geschirr und Halsband). Bleibe in der Nacht bei ihm und verhalte dich so normal und entspannt wie möglich.
Meine eigenen Erfahrungen
Bei Fridas erstem Silvester war zunächst nichts darauf hindeutend, dass sie einmal geräuschsensibel werden könnte. Gewitter mit lautem Donner hatte sie bislang völlig unbeeindruckt draußen überstanden. Am Silvesterabend wollten wir etwa zwei Stunden vor dem großen Feuerwerk noch einmal mit ihr rausgehen, damit sie sich lösen kann. Genau in diesem Moment explodierten jedoch zwei extrem laute Böller direkt über uns. Die Wirkung war heftig: Frida zitterte stundenlang, war kaum ansprechbar und konnte kein Futter annehmen.
Seit diesem Erlebnis reagiert sie bei jedem plötzlichen Knall zunächst mit einem Zusammenzucken, und selbst Donner führt inzwischen zu spürbarem Zittern. Bei einem weiteren Feuerwerk - Mitte dieses Jahres zum Aufstieg des HSV - hat sie die Angst erneut gezeigt. Auch da zitterte sie lange nach.
Um sie bestmöglich auf den Jahreswechsel vorzubereiten, trainieren wir seit etwa zwei Wochen gezielt während der Fütterung mit Feuerwerksgeräuschen von YouTube. Zuerst haben wir das Video ganz leise über das Handy abgespielt, dann sukzessive die Lautstärke erhöht. Inzwischen nutzen wir einen externen Lautsprecher, als nächstes wollen wir die Geräusche über die Soundbar mit Subwoofer abspielen, damit sie aus verschiedenen Richtungen und mit mehr Druck wahrgenommen werden. Wenn sie die Geräusche zu Hause gut toleriert, möchte ich sie später auch auf Spaziergängen einsetzen.
Erste kleine Fortschritte sehen wir bereits: Einige Miniknaller, die Kinder vor Kurzem in geringer Entfernung gezündet haben, haben sie kaum beeindruckt - früher wäre sie jedes Mal stark zusammengezuckt.