Zusammengefasst von Anja Schirwinski
Seit meine Hündin Frida mit fünf Monaten aus einem rumänischen Shelter zu mir kam, beschäftige ich mich intensiv mit Hundethemen - von Alltagstraining bis Verhaltensbesonderheiten. Viele der Fragen, die in Podcasts besprochen werden, kenne ich aus unserer gemeinsamen Erfahrung nur zu gut. Deshalb fasse ich hier die für mich interessantesten Podcastfolgen zusammen und ergänze sie mit meinen eigenen Erlebnissen mit Frida.
Mehr über das Projekt Petcaster
In dieser Episode des Podcasts Hundsf(a)elle sprechen die Moderatoren Yvonne Nawrat und Mustafa Irmak mit dem Diplom-Psychologen und Kriminologen Robert Mehl. Mit seiner umfangreichen Erfahrung aus der Forschung, der Arbeit mit Straftätern und seiner Tätigkeit als systemischer Berater beleuchtet Robert die komplexe Beziehung zwischen Stress und Lernverhalten bei Hunden. Im Zentrum steht die Frage, wie Du als Hundehalter eine Lernumgebung schaffen kannst, die Deinen Hund fordert, ohne ihn zu überfordern, und wie eine stabile Beziehung der Schlüssel zu einem stressresistenten und kooperativen Hund ist. Die Episode richtet sich an alle, die verstehen wollen, was Stress wirklich bedeutet und wie sie ihren Hunden helfen können, die Herausforderungen des Alltags souverän zu meistern.
Das Wichtigste auf einen Blick
- Stress ist nicht grundsätzlich schlecht: Robert Mehl erklärt, dass Stress ein lebenswichtiger Prozess ist, der den Körper auf Anforderungen vorbereitet. Problematisch wird Stress erst, wenn die Erholungsphasen zu kurz sind und er chronisch wird.
- Lernen braucht Herausforderung: Damit ein Hund etwas Neues lernt, muss er mit einer Aufgabe konfrontiert werden, für die er noch keine Lösung hat. Diese Form der positiven Herausforderung ist die Basis für Wachstum, solange sie nicht in ein Gefühl der Hilflosigkeit umschlägt.
- Die Art des Lernens ist entscheidend: Stress wirkt sich unterschiedlich auf verschiedene Gedächtnisarten aus. Während er motorisches Lernen (z. B. bei Tricks oder Leinenführigkeit) stark behindert, kann er soziales Lernen in bestimmten Situationen sogar beschleunigen.
- Beziehung ist der beste Stressregulator: Eine sichere und vertrauensvolle Bindung entsteht, wenn Du Deinem Hund hilfst, stressige Situationen zu bewältigen. Diese gemeinsame Meisterung von Herausforderungen (Co-Regulation) ist fundamental für eine stabile Beziehung.
- Sozialer Stress wiegt am schwersten: Eine unklare Führung und ständige soziale Spannungen in der Mensch-Hund-Beziehung sind laut Robert eine der größten Quellen für chronischen Stress, weit mehr als gelegentliche Trainingsfehler.
- Bei erwachsenen Hunden geht es um Respekt: Besonders bei selbstständigen Hunden aus dem Tierschutz ist weniger klassisches Training gefragt, sondern eine Art "Erwachsenenbildung". Es geht darum, auf Augenhöhe eine Beziehung aufzubauen, in der der Hund bereit ist, vom Menschen zu lernen.
- Vertraue Deiner Intuition: Dein Bauchgefühl ist oft der beste Indikator dafür, ob Dein Hund überfordert ist. Nimm die Signale Deines Hundes und Deine eigenen Gefühle ernst, um eine gesunde Balance zu finden.
Was Stress wirklich bedeutet: Eine neue Perspektive
Zu Beginn der Diskussion entkräftet Robert Mehl das gängige Missverständnis, Stress sei per se negativ. Er beschreibt Stress als einen dreiteiligen Prozess: Ein Reiz stellt eine Anforderung, das Individuum erlebt dies (oft als unangenehm) und der Körper reagiert, indem er Energie für eine Bewältigungsstrategie bereitstellt. Dieser Mechanismus, so Robert, ist für Säugetiere überlebenswichtig und findet täglich statt - sei es durch Hunger, Durst oder kalte Füße. Problematisch und potenziell schädlich wird Stress nicht durch sein Auftreten, sondern durch das Fehlen ausreichender Erholungsphasen. Wenn auf eine Anspannungsphase keine adäquate Entspannung folgt, kann sich ein chronischer Stresszustand entwickeln, der bei Menschen als Burnout bekannt ist und auch Hunden schwer zu schaffen macht.
Herausforderung vs. Überforderung: Der schmale Grat beim Lernen
Eine zentrale Erkenntnis der Episode ist, dass Lernen ohne eine gewisse Herausforderung nicht möglich ist. Robert erklärt, dass ein Hund (oder Mensch) nur dann etwas Neues lernt, wenn er mit einer Aufgabe konfrontiert wird, die er mit seinen bisherigen Fähigkeiten nicht sofort lösen kann. Dieser Zustand ist technisch gesehen eine Form der Überforderung, die aber als „Herausforderung“ positiv gestaltet werden muss. Entscheidend ist, dass das Tier das Gefühl hat, der Lösung näherzukommen und nicht in einen Zustand der Ohnmacht und Hilflosigkeit gerät. Die Fähigkeit, Frustration zu tolerieren und an einer Aufgabe dranzubleiben, ist individuell sehr verschieden. Als Halter ist es Deine Aufgabe, das Lernfenster Deines Hundes zu erkennen und die Schwierigkeit so anzupassen, dass er motiviert bleibt und Erfolgserlebnisse hat.
Die vielschichtige Wirkung von Stress auf das Gedächtnis
Robert Mehl differenziert klar, dass die Aussage „Stress blockiert Lernen“ zu pauschal ist. Die Wirkung hängt stark von der Art des Lernens ab:
- Motorisches Lernen: Fähigkeiten, die präzise Bewegungsabläufe erfordern (wie Leinenführigkeit, Agility oder das Ausführen von Signalen), werden durch Stress und Druck massiv behindert. Wer kennt es nicht: Sobald in der Hundeschule alle zuschauen, klappt nichts mehr. Hier ist eine entspannte Atmosphäre essenziell.
- Faktenlernen und episodisches Gedächtnis: Das Abspeichern von Ereignissen oder Fakten funktioniert am besten mit einer gewissen emotionalen Relevanz. Völlig uninteressante Dinge werden kaum behalten, doch zu hoher Stress (wie bei einem Trauma) kann zu lückenhaften oder verzerrten Erinnerungen führen.
- Soziales und emotionales Lernen: Hier spielt Stress eine komplexe Rolle. Eine einmalige, sehr stressige negative Erfahrung (z. B. der Biss eines anderen Hundes) kann sich sofort und dauerhaft einprägen. Gleichzeitig wird eine positive soziale Bindung dadurch gestärkt, dass eine Bezugsperson (Mensch oder anderer Hund) hilft, Stress zu regulieren. Gemeinsam bewältigte Herausforderungen schütten das Bindungshormon Oxytocin aus und festigen das Vertrauen.
Beziehung vor Technik: Der Schlüssel zu kooperativen Hunden
Am Beispiel des fiktiven Tierschutzhundes Rudi macht Robert deutlich, dass es bei erwachsenen, selbstständigen Hunden oft nicht um Trainingsmethoden, sondern um die grundlegende Beziehungsgestaltung geht. Solche Hunde, die gelernt haben, für sich selbst zu sorgen, hinterfragen den Führungsanspruch des Menschen. Hier greift das Konzept der „Erwachsenenbildung“: Anstatt dem Hund Befehle beizubringen, muss der Mensch sich zunächst Respekt und Vertrauen erarbeiten, sodass der Hund überhaupt bereit ist, sich zu orientieren und zu kooperieren. Robert plädiert für einen autoritativen Führungsstil. Dieser ist weder autoritär (strikt von oben herab) noch laissez-faire (grenzenlos), sondern zeichnet sich durch klare Regeln, liebevolle Konsequenz und die Berücksichtigung der Bedürfnisse aller Gruppenmitglieder aus. Eine solche verlässliche Struktur bietet soziale Sicherheit und ist laut Robert der wirksamste Schutz vor chronischem Stress.
Praktische Schritte für einen gesunden Umgang mit Stress im Alltag
- Achte konsequent auf Erholung: Sorge dafür, dass Dein Hund nach anstrengenden Aktivitäten ausreichend Schlaf und Ruhephasen bekommt. Ein Hund benötigt deutlich mehr Schlaf als ein Mensch.
- Dosiere die Herausforderung: Gestalte Lerneinheiten kurz und sorge für spürbare Fortschritte und Erfolgserlebnisse, um die Motivation Deines Hundes zu erhalten.
- Schaffe eine stressfreie Lernumgebung: Insbesondere beim Erlernen von motorischen Fähigkeiten ist eine entspannte Atmosphäre ohne Druck entscheidend für den Erfolg.
- Sei ein sicherer Hafen: Hilf Deinem Hund aktiv, stressige Situationen zu bewältigen. Deine ruhige und souveräne Unterstützung (Co-Regulation) stärkt eure Bindung mehr als jedes Training.
- Etabliere eine klare Führung: Ein fairer und bedürfnisorientierter Führungsstil schafft eine verlässliche soziale Struktur, die Unsicherheit und chronischen Stress reduziert.
- Vertraue Deinem Bauchgefühl: Wenn Du spürst, dass Dein Hund überreizt ist, pausiere das Training. Die Beziehung zu Deinem Hund ist wichtiger als das Erreichen eines kurzfristigen Ziels.
- Wähle den passenden Hund: Reflektiere ehrlich, ob Dein Kommunikationsstil und Dein Lebensstil zu dem von Dir gewählten Hundetyp passen. Viele Probleme entstehen aus einer grundlegenden Inkompatibilität.