Tierärztin Dr. Tanja Pollmüller über Defektzucht und die Realität im Tierschutz

Zusammengefasst von Anja Schirwinski
Seit meine Hündin Frida mit fünf Monaten aus einem rumänischen Shelter zu mir kam, beschäftige ich mich intensiv mit Hundethemen - von Alltagstraining bis Verhaltensbesonderheiten. Viele der Fragen, die in Podcasts besprochen werden, kenne ich aus unserer gemeinsamen Erfahrung nur zu gut. Deshalb fasse ich hier die für mich interessantesten Podcastfolgen zusammen und ergänze sie mit meinen eigenen Erlebnissen mit Frida. 
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In dieser Episode von The Petfood Family spricht Moderator Jan Dießner mit der Tierärztin Dr. Tanja Pollmüller, auch bekannt als Doc Polly. Im Zentrum des Gesprächs steht das drängende Thema der Qualzucht, von Dr. Pollmüller präziser als Defektzucht bezeichnet. Sie gibt einen tiefen Einblick in die gesundheitlichen Folgen für betroffene Tiere, die gesellschaftliche Verantwortung und die enorme emotionale Belastung, die dieser Beruf mit sich bringt.

Die Episode richtet sich an alle Tierhalter:innen und jene, die es werden wollen. Sie beleuchtet, warum bestimmte, oft als "süß" empfundene Zuchtmerkmale massives Tierleid verursachen und was jeder Einzelne tun kann, um dieses Problem zu bekämpfen.

Das Wichtigste auf einen Blick

  • Schmerz wird oft übersehen: Ein Tier, das noch frisst, kann laut Dr. Pollmüller trotzdem unter starken Schmerzen leiden. Dieses Verhalten ist ein Überlebensinstinkt und kein verlässlicher Indikator für Wohlbefinden.
  • Defektzucht ist weit verbreitet: Viele als niedlich empfundene Rassemerkmale wie kurze Schnauzen, Hängeohren, ein langer Rücken oder extrem kleine Körpergrößen sind gesundheitliche Defekte, die zu lebenslangem Leid führen können.
  • Aufklärung vor dem Tierkauf: Dr. Pollmüller appelliert eindringlich an zukünftige Tierhalter:innen, sich vor der Anschaffung eines Tieres von einem Tierarzt beraten zu lassen, um über rassespezifische Probleme und Risiken aufgeklärt zu werden.
  • Gesellschaftliche Verantwortung: Die Normalisierung von Qualzuchtmerkmalen in Werbung und auf Dekoartikeln trägt zur Unwissenheit bei. Jeder kann durch bewussten Konsum und offene Gespräche ein Zeichen setzen.
  • Der emotionale Druck auf Tierärzt:innen: Der Beruf ist geprägt von der täglichen Konfrontation mit Tierleid, schweren Entscheidungen über Leben und Tod sowie teils aggressivem Verhalten von Tierbesitzer:innen.
  • Gesetze allein reichen nicht: Obwohl es neue gesetzliche Regelungen gegen Defektzucht gibt, sind diese ohne konsequente Kontrollen, klare Definitionen und die Mithilfe der Bevölkerung nur schwer durchsetzbar.
  • Zukunftsorientiert handeln: Anstatt Besitzer:innen von betroffenen Tieren zu verurteilen, plädiert Dr. Pollmüller für einen positiven, aufklärenden Ansatz, um zukünftige Züchtungen zu verhindern und bestehendes Leid zu lindern.

Was ist Defektzucht und warum ist sie ein gesellschaftliches Problem?

Dr. Tanja Pollmüller beginnt mit der Feststellung, dass das Problem der Qualzucht allgegenwärtig ist - von Dekoartikeln in Geschäften bis hin zu Wärmflaschen in der Apotheke. Sie bevorzugt den von Professor Achim Gruber geprägten Begriff „Defektzucht“, da er verdeutlicht, dass Tieren durch menschlich definierte Schönheitsideale genetische Defekte angezüchtet werden. Sie kritisiert, dass viele Menschen sich der Konsequenzen nicht bewusst sind. Während Probleme bei kurznasigen Rassen wie Französischen Bulldoggen und Möpsen langsam ins öffentliche Bewusstsein rücken, gibt es unzählige weitere Rassen mit gravierenden zuchtbedingten Leiden, die oft unsichtbar bleiben.

Die Perspektive der Tierärztin: Zwischen Leid und Aufklärung

Als Tierärztin, so erklärt Dr. Pollmüller, sieht sie meist nur „das Ende der Fahnenstange“ - Tiere, die bereits unter akuten gesundheitlichen Problemen leiden. Sie räumt mit gängigen Mythen auf, wie der Annahme, ein fressendes Tier könne keine Schmerzen haben. Insbesondere bei Zahnproblemen, einem der häufigsten Gründe für einen Tierarztbesuch, oder bei Gelenkschmerzen fressen Tiere oft trotz erheblichen Leids weiter. Sie betont, dass viele Besitzer:innen das Leid ihrer Tiere nicht absichtlich ignorieren, sondern es aus Unwissenheit nicht erkennen. Aus diesem Grund sei kontinuierliche und verständliche Aufklärungsarbeit auf allen Kanälen - von Social Media bis zum persönlichen Gespräch - unerlässlich.

Verstecktes Leid: Konkrete Beispiele für Defektzuchtmerkmale

Dr. Pollmüller listet eine Vielzahl von zuchtbedingten Problemen auf, die weit über die bekannte Atemnot hinausgehen:

  • Kurzköpfigkeit (Brachyzephalie): Neben Atemproblemen neigen diese Rassen zu Augenleiden (hervorquellende Augen), Hautinfektionen, Bandscheibenvorfällen und Geburtskomplikationen.
  • Extreme Größen: Sehr große Hunde leiden oft an Gelenkproblemen, während extrem kleine Hunde (z. B. Toy Pudel) zu instabilen Kniescheiben und schlechter Knochenheilung neigen.
  • Cavalier King Charles Spaniel: Bei dieser Rasse ist der Schädel oft zu klein für das Gehirn, was zu chronischen, starken Kopfschmerzen führt.
  • Farbschläge: Die silbergraue Farbe bei Labradoren (Dilute-Gen) ist ein Gendefekt, der mit Hauterkrankungen und schlechter Wundheilung einhergehen kann. Der Merle-Faktor kann bei falscher Verpaarung zu Taubheit und Blindheit führen.
  • Weitere Merkmale: Auch Hängeohren (Ektropium), zu kurze Beine bei langem Rücken (Dackel) oder fehlende Barthaare und Wimpern (Nacktkatzen) stellen erhebliche Beeinträchtigungen dar.

Gesetze, Zuchtverbände und der Ruf nach Veränderung

Das Gespräch thematisiert die unzureichenden gesetzlichen Rahmenbedingungen. Zwar verbietet das Tierschutzgesetz die Zucht, wenn mit Schmerzen, Leiden oder Schäden zu rechnen ist, doch die Umsetzung ist schwierig. Dr. Pollmüller erklärt, dass es an klaren, messbaren Kriterien fehlt, ab wann ein Merkmal als tierschutzrelevant gilt. Die Niederlande haben es vorgemacht, indem sie eine konkrete Regelung für die Nasenlänge eingeführt haben. In Deutschland wird an einer bundeseinheitlichen Liste gearbeitet, die Veterinärämtern und Tierärzt:innen helfen soll, klare Grenzen zu ziehen. Dr. Pollmüller kritisiert zudem Zuchtverbände, die teils immer noch tierschutzwidrige Praktiken wie das Kupieren von Ruten für die Zuchtzulassung fordern.

Der Mensch im Mittelpunkt: Zwischen Unwissenheit, Egoismus und dem emotionalen Druck auf Tierärzt:innen

Dr. Pollmüller berichtet von extremen Reaktionen auf ihre Aufklärungsarbeit, die von Beschimpfungen und Drohungen bis hin zu Vandalismus an ihrer Praxis reichen. Sie führt den Widerstand gegen Veränderungen auf eine Mischung aus Unwissenheit, Egoismus und fehlender Empathie zurück. Viele Züchter:innen und Halter:innen wollen nicht wahrhaben, dass das von ihnen geliebte Tier leidet. Der Beruf des Tierarztes ist laut Dr. Pollmüller auch deshalb mit der höchsten Suizidrate verbunden. Die ständige Konfrontation mit Leid, die Machtlosigkeit der Tiere und der Druck durch Besitzer - emotional und finanziell - stellen eine immense psychische Belastung dar. Sie betont die Wichtigkeit von Netzwerken und gegenseitiger Unterstützung unter Kolleg:innen.

Praktische Schritte für (angehende) Tierhalter:innen

Aus dem Gespräch lassen sich konkrete Handlungsempfehlungen ableiten:

  1. Beratung einholen: Informiere dich vor der Anschaffung eines Tieres umfassend bei einem Tierarzt oder einer Tierärztin über rassespezifische Krankheiten und Bedürfnisse.
  2. Warnsignale erkennen: Sei kritisch gegenüber extremen Merkmalen. Ein gesunder Hund sollte eine ausgewogene Anatomie ohne Übertreibungen aufweisen.
  3. Tierheime unterstützen: Anstatt die Nachfrage nach potenziell problematischen Rassen zu fördern, gib einem Tier aus dem Tierschutz ein Zuhause.
  4. Regelmäßige Vorsorge: Gehe mindestens einmal jährlich zur Kontrolle zum Tierarzt, besonders bei älteren Tieren, um Krankheiten frühzeitig zu erkennen.
  5. Nicht wegschauen: Wenn du Tierleid in deinem Umfeld beobachtest, suche das Gespräch oder informiere (anonym) das zuständige Veterinäramt oder eine Tierarztpraxis.
  6. Aufklärung im Kleinen: Sprich freundlich und ohne Vorwürfe mit anderen über das Thema Defektzucht. Viele Menschen handeln aus reiner Unwissenheit.

📌 Themen und Herausforderungen

Hinweis: Diese Zusammenfassung wurde mit Hilfe von KI aus dem Transkript der Podcast-Episode generiert.
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