Zusammengefasst von Anja Schirwinski
Seit meine Hündin Frida mit fünf Monaten aus einem rumänischen Shelter zu mir kam, beschäftige ich mich intensiv mit Hundethemen - von Alltagstraining bis Verhaltensbesonderheiten. Viele der Fragen, die in Podcasts besprochen werden, kenne ich aus unserer gemeinsamen Erfahrung nur zu gut. Deshalb fasse ich hier die für mich interessantesten Podcastfolgen zusammen und ergänze sie mit meinen eigenen Erlebnissen mit Frida.
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In der neuesten Folge des Podcasts "Sitz! Platz! Bleibt!" nehmen die Hosts Nicole Borowy und Sami El Ayachi ein ebenso wichtiges wie emotionales Thema in den Fokus: den Auslandstierschutz. Basierend auf seinen persönlichen Erlebnissen während einer zehntägigen Reise nach Tunesien, gibt Sami tiefe und differenzierte Einblicke in das Zusammenleben von Menschen und freilebenden Hunden und Katzen. Er hinterfragt dabei gängige westliche Vorurteile und zeigt auf, wie vielschichtig Tierschutz vor Ort wirklich ist.
Diese Folge ist eine unverzichtbare Ressource für alle, die sich für Tierschutz engagieren oder mit dem Gedanken spielen, einen Hund aus dem Ausland zu adoptieren. Sie beleuchtet die zentrale Frage, wie eine funktionierende und respektvolle Koexistenz zwischen Menschen und Straßentieren aussehen kann und welche Form der Unterstützung wirklich sinnvoll ist.
Das Wichtigste auf einen Blick
- Gelebte Fürsorge statt Vorurteil: Entgegen gängiger Klischees zeigen viele Menschen in Tunesien große Empathie und Fürsorge für Straßentiere, indem sie regelmäßig Wasser und Futter bereitstellen.
- Anpassungsfähige Kulturfolger: Die freilebenden Hunde und Katzen sind keine reinen Wildtiere mehr, sondern haben sich als Kulturfolger an das Leben in Menschennähe angepasst und ernähren sich von dem, was sie finden oder bekommen.
- Die zwei Seiten der Koexistenz: Während viele Straßentiere friedlich sind, kann territoriales oder aggressives Verhalten einzelner Hundegruppen eine reale Gefahr für Menschen und Haustiere darstellen.
- Sicherheit als Priorität: Ein funktionierendes Zusammenleben erfordert, dass die Sicherheit von Menschen, insbesondere von Kindern, gewährleistet ist. Aggressives Verhalten von Hunden wird daher nicht toleriert.
- Hilfe vor Ort ist entscheidend: Statt Hunde massenhaft nach Deutschland zu holen, ist die Unterstützung lokaler Initiativen durch Spenden für Kastrationsprogramme, Futter und medizinische Versorgung der nachhaltigere Ansatz.
- Armut als Treiber: Die wirtschaftliche Not, verschärft durch die Corona-Pandemie, hat dazu geführt, dass mehr Haustiere ausgesetzt wurden, was die Population der Straßentiere vergrößert hat.
Ein differenziertes Bild des Tierschutzes in Tunesien
Sami reiste aus einem traurigen familiären Anlass nach Tunesien und wurde unmittelbar mit der Realität des Tierschutzes vor Ort konfrontiert. Seine erste prägende Beobachtung machte er vor einer Moschee, wo Anwohner Futter- und Wassernäpfe für Katzen und Hunde aufgestellt hatten. Besonders bewegend war für ihn die Szene, in der ein Mann versuchte, einem sehr jungen Kätzchen das Fressen beizubringen, indem er ihm eine erwachsene Katze als Vorbild zur Seite setzte. Sami betont, dass diese fürsorglichen Handlungen nicht in touristischen Gegenden stattfanden, sondern authentische Alltagsmomente waren. Diese Erlebnisse veranlassten ihn, eine Lanze für die Menschen zu brechen, die oft pauschal und fälschlicherweise als gefühlskalt gegenüber Tieren dargestellt werden.
Die soziale Organisation und Anpassungsfähigkeit der Straßentiere
Während seiner Zeit in Tunesien beobachtete Sami verschiedene Gruppen von Hunden und Katzen und war beeindruckt von deren Zustand und Organisation. Viele Tiere wirkten gut genährt und zeigten ein faszinierendes Sozialverhalten. Er beschreibt eine bemerkenswerte Kooperation zwischen einer Katze und drei Hunden an einer Mülltonne: Die Katze wühlte oben im Müll und warf Fressbares für die wartenden Hunde hinunter. Dies zeigt, wie anpassungsfähig die Tiere geworden sind - sie haben gelernt, sich in der Nähe des Menschen zu versorgen und fressen sogar für sie untypische Nahrung wie Nudeln oder Brot. Sami schildert auch, wie er Hundegruppen beobachtete, die sich nachts auf einem bestimmten Grundstück sammelten und tagsüber getrennte Wege gingen, was auf eine komplexe soziale Struktur hindeutet.
Die Kehrseite der Medaille: Aggression und notwendige Grenzen
Die Koexistenz ist jedoch nicht immer harmonisch. Bei einem morgendlichen Strandspaziergang erlebten Sami und seine Frau die gefährliche Seite freilebender Hunde. Nachdem sie eine friedliche Hundefamilie mit einem Welpen beobachtet hatten, wurden sie kurz darauf von zwei anderen Hunden frontal und mit offensiv-aggressivem Verhalten angegriffen. Sami konnte die Situation durch seine körpersprachliche Reaktion und den Einsatz eines Handtuchs deeskalieren. Ein Einheimischer, der hinzukam, wehrte die Hunde mit Steinen ab und erklärte, dass ein solches Verhalten gegenüber Menschen nicht akzeptiert wird. Er machte deutlich, dass Hunde, die Menschen angreifen, eingefangen und beurteilt werden müssen. Diese Erfahrung, so Sami, schärfte seinen Blick dafür, warum in solchen Kulturen manchmal Maßnahmen ergriffen werden, die aus westlicher Perspektive hart erscheinen mögen, aber aus der Notwendigkeit des Selbstschutzes geboren sind.
Herausforderungen für einheimische Hundehalter
Die große Anzahl an freilebenden Hundegruppen stellt auch für lokale Tierhalter ein erhebliches Problem dar. Sami berichtet vom Hund seiner Cousine, der von seinem Grundstück entkam und von einem Rudel Straßenhunde fast zu Tode gebissen wurde. Viele Einheimische können mit ihren Familienhunden kaum noch spazieren gehen, da die Gefahr von Angriffen durch etablierte Hundegruppen zu groß ist. Dieses Dilemma zeigt, dass die uneingeschränkte Freiheit für Straßentiere die Lebensqualität und Sicherheit von Haustieren und deren Besitzern massiv einschränken kann. Es stellt sich die schwierige Frage, wie ein Gleichgewicht gefunden werden kann, das allen Tieren und Menschen gerecht wird.
Lokale Lösungen: Tierschutz vor Ort statt Massenadoption
Sami plädiert eindringlich dafür, den Fokus des Tierschutzes zu verlagern. Anstatt Hunde pauschal aus ihrem gewohnten Umfeld zu reißen und nach Europa zu bringen, sei es weitaus sinnvoller, die engagierten Menschen und Initiativen vor Ort zu unterstützen. Er erklärt, dass es bereits viele - oft private -Kastrationsprogramme gibt, um die Populationen tierschutzgerecht zu kontrollieren. Was wirklich benötigt wird, sind finanzielle Mittel, Futterspenden und medizinische Versorgung wie Impfungen und Parasitenschutz. Dieser Ansatz respektiert die etablierte Koexistenz und stärkt die lokalen Gemeinschaften in ihrer Fähigkeit, die Situation nachhaltig zu managen. Es geht darum, das Gute, das bereits getan wird, zu sehen und gezielt zu fördern.
Praktische Schritte für effektiven Auslandstierschutz
- Vorurteile hinterfragen: Vermeide pauschale Urteile über andere Kulturen. Informiere dich über die komplexen Realitäten vor Ort und erkenne die vielfältigen Bemühungen im Tierschutz an.
- Lokale Organisationen unterstützen: Konzentriere deine Hilfe auf die Unterstützung von Tierschutzinitiativen direkt im Ausland. Finanzielle Spenden sind oft wirkungsvoller als Sachspenden, da sie flexibel eingesetzt werden können.
- Kastrationsprogramme fördern: Die Kontrolle der Population durch Kastration ist der Schlüssel zu nachhaltigem Tierschutz. Unterstütze gezielt Projekte, die sich auf „Trap-Neuter-Return“ (Einfangen, Kastrieren, Freilassen) spezialisieren.
- Lokale Gegebenheiten respektieren: Verstehe, dass die Bedingungen und Lösungsansätze vor Ort anders sein können als bei uns. Maßnahmen, die auf den ersten Blick hart wirken, können aus einer Notwendigkeit heraus entstehen.
- Bewusstsein schaffen: Teile positive und differenzierte Geschichten über den Tierschutz im Ausland, um zu einem ausgewogeneren öffentlichen Bild beizutragen und die Arbeit der lokalen Helfer zu würdigen.