Zusammengefasst von Anja Schirwinski
Seit meine Hündin Frida mit fünf Monaten aus einem rumänischen Shelter zu mir kam, beschäftige ich mich intensiv mit Hundethemen - von Alltagstraining bis Verhaltensbesonderheiten. Viele der Fragen, die in Podcasts besprochen werden, kenne ich aus unserer gemeinsamen Erfahrung nur zu gut. Deshalb fasse ich hier die für mich interessantesten Podcastfolgen zusammen und ergänze sie mit meinen eigenen Erlebnissen mit Frida.
Mehr über das Projekt Petcaster
In dieser Episode von "The Petfood Family" spricht Host Jan Dießner mit der Tiertrainerin Sarah Fink über ihre besondere Herangehensweise an die Arbeit mit Hunden, die als schwierig oder nicht mehr vermittelbar gelten. Sarah Fink teilt ihre Erfahrungen, die im Pferdetraining begannen und sie schließlich zur Expertin für Angsthunde machten. Ihre Methoden basieren auf Prinzipien, die in der Pferdewelt etabliert, im Hundetraining jedoch oft unkonventionell sind.
Die zentralen Themen der Episode sind Sarahs Trainingsphilosophie "Annäherung und Rückzug", ihre überraschenden Erkenntnisse aus der Beobachtung von Straßenhunden und ihre Kritik an ideologischen Grabenkämpfen in der Hundeszene. Die Folge richtet sich an alle Hundehalter:innen, die nach neuen Wegen für den Umgang mit ängstlichen oder verhaltensauffälligen Hunden suchen und bietet tiefgehende Einblicke in die Psychologie und das natürliche Verhalten von Hunden.
Das Wichtigste auf einen Blick
- Trainingstransfer von Pferd zu Hund: Sarah erklärt, dass Methoden aus dem Pferdetraining, insbesondere für den Umgang mit Fluchttieren, extrem wirksam bei Angsthunden sind, da sie auf universellen Lernprinzipien basieren.
- Die Methode „Annäherung und Rückzug“: Bei Hunden, die sich nicht anfassen lassen, nutzt Fink eine Technik, bei der sie dem Hund folgt und sich erst dann zurückzieht, wenn der Hund ruhiges Verhalten zeigt. So lernt der Hund, dass Kooperation und nicht Flucht den Druck beendet.
- Kurzfristiger Stress für langfristige Lebensqualität: Sarah argumentiert, dass wenige Tage kontrollierter Trainingsstress gerechtfertigt sind, wenn der Hund dadurch ein Leben lang angstfreier und in einer Familie leben kann, anstatt im Tierheim zu bleiben.
- Straßenhunde sind keine Wildtiere: Ihre Beobachtungen mit GPS-Trackern zeigen, dass Straßenhunde in enger Verbindung zu Menschen leben, oft feste Bezugspersonen und Routinen haben und ohne menschliche Unterstützung kaum überleben würden.
- Mythos Welpenruhe: Entgegen der gängigen Lehrmeinung, dass Welpen 20 - 22 Stunden schlafen müssen, zeigen Sarahs Beobachtungen, dass Straßenhundewelpen bis zu zehn Stunden am Tag aktiv sind und spielen.
- Flexibilität statt Ideologie: Sarah kritisiert die starren „Glaubenssätze“ in der Hundetrainingsszene und plädiert für einen pragmatischen Ansatz: Die Methode muss zum individuellen Hund passen, und was funktioniert, ist richtig.
Vom Pferdetraining zur Spezialisierung auf "Problemhunde"
Sarahs Weg begann nicht mit Hunden, sondern mit Pferden. Sie absolvierte eine Ausbildung zur Pferdetrainerin, unter anderem bei weltbekannten Namen wie Monty Roberts und Parelli. Parallel dazu beschäftigte sie sich intensiv mit Hundetraining, obwohl ihr Umfeld dies nicht als tragfähigen Beruf ansah. Der Wendepunkt kam, als sie einen Hund trainierte, der 24 Stunden vor seiner geplanten Einschläferung stand, weil er Menschen biss und als untherapierbar galt. Mit den Methoden, die sie aus dem Pferdetraining kannte, konnte sie innerhalb kurzer Zeit das Vertrauen des Hundes gewinnen und die Euthanasie verhindern. Dieser Erfolg führte dazu, dass sie sich zunehmend auf Hunde spezialisierte, die von anderen Trainer:innen bereits aufgegeben wurden.
Die Methode "Annäherung und Rückzug" bei Angsthunden
Ein zentraler Baustein in Sarahs Arbeit mit extrem ängstlichen Hunden ist das Prinzip "Annäherung und Rückzug". Sie erklärt, dass Angsthunde instinktiv mit Flucht (Flight), Erstarren (Freeze) oder Angriff (Fight) reagieren, wobei alle Reaktionen letztlich auf dem Wunsch nach Distanz basieren. Herkömmliche Methoden, die auf positiver Verstärkung mit Leckerlis oder Spielzeug aufbauen, scheitern laut Sarah oft bei Hunden, die in ihrer Panik dafür nicht empfänglich sind.
Ihre Methode funktioniert anders: In einem begrenzten Raum nähert sie sich dem Hund in einem konstanten Abstand. Der Hund versucht zu fliehen, doch Fink folgt ihm mit ruhiger Körpersprache. Der entscheidende Moment ist, wenn der Hund innehält. Genau dann dreht sie sich um und geht weg. Der Hund lernt so, dass nicht die Flucht, sondern das Stehenbleiben und später das Entspannen zum gewünschten Ergebnis - dem Rückzug des Menschen - führt. Dieser Prozess wird schrittweise gesteigert, bis eine Berührung und schließlich das Anleinen möglich sind.
Fink räumt ein, dass diese Methode für den Hund kurzfristig stressig ist. Sie argumentiert jedoch, dass einige Tage intensiven Trainings, die zu einem lebenslangen Gewinn an Lebensqualität und der Chance auf ein Zuhause führen, einem dauerhaften Leben in Angst und Isolation im Tierheim vorzuziehen sind. Für sie führt der Weg aus der Angst oft direkt durch die Angst hindurch.
Die überraschende Welt der Straßenhunde
Während der Corona-Pandemie begann Sarah Fink, ihre Arbeit in ausländischen Tierheimen für Online-Seminare zu filmen. Dabei beobachtete sie intensiv Straßenhunde und startete ein Projekt, bei dem sie die Tiere mit GPS- und Aktivitätstrackern ausstattete. Ihre Erkenntnisse, die sie auch in ihrem Buch "Die geheime Welt der Straßenhunde" veröffentlichte, stellen viele gängige Annahmen infrage.
Fink beschreibt, dass Straßenhunde keine reinen Wildtiere sind, sondern als domestizierte Tiere immer die Nähe zu Menschen suchen. Sie leben in Ortschaften, nicht in Wäldern. Viele haben feste Routinen und mehrere Bezugspersonen, die sie füttern. Der Übergang zwischen "Straßenhund" und "Besitzerhund" ist oft fließend. Ihre Beobachtungen zeigten zudem Erstaunliches: Manche Hunde scheinen Wochentage zu kennen und tauchen nur dann an bestimmten Orten auf, wenn diese geöffnet sind (z. B. ein Supermarkt). Das Aktivitätslevel variiert extrem: Während manche Hunde nur 15 Minuten am Tag aktiv sind, begleiten andere Skifahrer:innen bis zu acht Stunden in den Bergen - aus Spaß, nicht aus Hunger.
Welpen, Mythen und die Grenzen der Ideologie
Eine der größten Überraschungen ihrer Forschung war das Verhalten von Welpen. Die weit verbreitete Regel, dass Welpen 20 bis 22 Stunden am Tag schlafen müssen, um Gelenkschäden zu vermeiden, wird durch ihre Daten widerlegt. Ein von ihr getrackter, sechs Wochen alter Welpe war bis zu zehn Stunden am Tag hochaktiv - er spielte, erkundete und interagierte. Diese Erkenntnis stellt gängige, oft sehr restriktive Haltungsempfehlungen infrage.
Ihre Erfahrungen haben Fink zu einer kritischen Beobachterin der Hundetrainingsszene gemacht. Sie beschreibt diese als teilweise "sektenhaft", in der starre Ideologien vorherrschen und alternative Ansätze radikal abgelehnt werden. Sie selbst verfolgte als Jugendliche einen rein positiven Ansatz, erkannte aber durch die Arbeit mit verschiedensten Hunden dessen Grenzen. Heute plädiert sie für einen undogmatischen, flexiblen Ansatz: Eine Methode muss zum Individuum passen, und der Erfolg gibt ihr Recht.
Praktische Schritte: Das Protokoll "Annäherung und Rückzug"
- Vorbereitung: Wähle einen begrenzten Raum mit möglichst wenigen Versteckmöglichkeiten, um das Training kontrolliert durchführen zu können.
- Nachgehen mit Distanz: Folge dem Hund in einem konstanten Abstand von zwei bis drei Metern. Deine Körperhaltung sollte dabei entspannt und nicht bedrohlich sein.
- Belohnung durch Rückzug: In dem Moment, in dem der Hund sein Fluchtverhalten unterbricht und stehen bleibt, drehst du dich um und entfernst dich. Dies ist die "Belohnung".
- Schrittweise Steigerung: Nach einigen Wiederholungen erhöhst du die Anforderung. Der Hund muss sich nicht nur hinstellen, sondern auch eine entspannte Haltung zeigen. Später forderst du, dass er einen Schritt auf dich zu toleriert oder eine kurze Berührung aushält, bevor du dich zurückziehst.
- Das Ziel: Der Hund verknüpft, dass ruhiges und kooperatives Verhalten den Druck beendet. Seine Wahrnehmung des Menschen wandelt sich von einer Bedrohung zu einem berechenbaren Partner.