Zusammengefasst von Anja Schirwinski
Seit meine Hündin Frida mit fünf Monaten aus einem rumänischen Shelter zu mir kam, beschäftige ich mich intensiv mit Hundethemen - von Alltagstraining bis Verhaltensbesonderheiten. Viele der Fragen, die in Podcasts besprochen werden, kenne ich aus unserer gemeinsamen Erfahrung nur zu gut. Deshalb fasse ich hier die für mich interessantesten Podcastfolgen zusammen und ergänze sie mit meinen eigenen Erlebnissen mit Frida.
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In dieser Episode des Podcasts "Sitz! Platz! Bleibt!" tauchen die Hosts Nicole Borowy und Sami El Ayachi tief in eine der meistdiskutierten Fragen der Hundehaltung ein: Wie viele Sozialkontakte sind für einen Hund notwendig und gesund? Ausgelöst durch die Pubertät von Nicoles zehn Monate altem Rüden Jaxon, analysiert Sami die komplexen Faktoren, die das soziale Bedürfnis eines Hundes prägen.
Die Episode richtet sich an alle Hundehalter, die sich unsicher sind, wie sie die sozialen Interaktionen ihres Hundes am besten gestalten können. Sie entlarvt gängige Mythen und bietet eine differenzierte Perspektive, die weit über die pauschale Annahme „viel hilft viel“ hinausgeht. Das zentrale Thema ist die Notwendigkeit, Sozialkontakte individuell auf den jeweiligen Hund abzustimmen, anstatt starren Regeln zu folgen.
Das Wichtigste auf einen Blick
- Individualität ist entscheidend: Es gibt keine allgemeingültige Regel, wie viel Sozialkontakt ein Hund braucht. Die Bedürfnisse hängen stark vom Charakter, der Rasse und den bisherigen Erfahrungen ab.
- Qualität vor Quantität: Gezielte und gut begleitete Treffen mit passenden Hunden sind wertvoller als unkontrollierte Massenbegegnungen auf Hundewiesen.
- Die frühe Prägung zählt: Die ersten Lebenswochen im Wurf bei einer kompetenten Mutterhündin legen den Grundstein für die spätere soziale Kompetenz eines Hundes.
- Der Mensch als Sozialpartner: Eine starke, vertrauensvolle Bindung zum Menschen kann das Bedürfnis nach ständigem Kontakt zu Artgenossen reduzieren. Du bist ein zentraler Sozialpartner.
- Grenzen sind normal: Es ist natürlich und kein Zeichen von Aggressivität, wenn ein Hund nicht mit jedem anderen Hund interagieren möchte. Evolutionär ist der Kontakt mit Fremden nicht die Norm.
- Beobachte das Verhalten deines Hundes: Extreme Aufregung oder Stress vor oder während Hundetreffen sind wichtige Signale, die darauf hindeuten können, dass die Situation überfordernd ist.
- Professionelle Begleitung kann helfen: Wenn du unsicher bist, das Verhalten deines Hundes richtig zu deuten, kann die Einschätzung durch einen erfahrenen Trainer Gold wert sein.
Die individuelle Natur sozialer Bedürfnisse
Zu Beginn der Diskussion stellt Sami klar, dass die Frage nach der richtigen Menge an Sozialkontakten nur mit der klassischen Antwort „Es kommt drauf an“ zu beantworten ist. Er erklärt, dass die Annahme, ein Mensch könne ein vollwertiger Sozialpartnerersatz sein, zwar existiert, aber schwer zu beweisen ist, da wir Hunde nicht direkt befragen können. Viele Hunde scheinen jedoch tatsächlich keine fremden Artgenossen zu benötigen, insbesondere wenn sie bereits in einer stabilen, harmonischen Mehrhundegruppe leben.
Nicole veranschaulicht diese Individualität anhand ihrer eigenen Hunde: Ihr erster Rüde, Carlo, war extrem kontaktfreudig und wollte zu jedem anderen Hund hin. Ihr zweiter, Sherlock, zeigte hingegen nie großes Interesse an fremden Hunden. Diese Beispiele unterstreichen Samis Punkt, dass jeder Hund einzigartig ist und eine individuelle Herangehensweise erfordert.
Die entscheidende Rolle der frühen Prägung
Ein entscheidender Faktor für die soziale Kompetenz eines Hundes sind laut Sami die Erfahrungen in den ersten acht bis zwölf Lebenswochen. Ein Welpe, der in einem gut strukturierten Wurf mit einer kompetenten Mutter und anderen erwachsenen Hunden aufwächst, lernt grundlegende soziale Regeln wie Impulskontrolle und das Deuten von Körpersprache. Diese Hunde starten mit einem soliden Fundament.
Im Gegensatz dazu können Hunde aus chaotischen Verhältnissen, die sich selbst überlassen wurden, Schwierigkeiten haben, die Signale erwachsener Hunde zu verstehen. Sie neigen dann oft zu ungestümem Verhalten, weil ihnen die nötige Anleitung fehlte. Für solche Hunde ist die Begleitung durch den Menschen bei Sozialkontakten umso wichtiger.
Qualität statt Quantität: Sozialkontakte bewusst gestalten
Sami plädiert eindringlich für „dosierte Sozialkontakte“. Er kritisiert große, unübersichtliche Welpengruppen, in denen die Hunde oft nur bereits erlernte, teils problematische Verhaltensweisen festigen, anstatt Neues zu lernen. Als Beispiel nennt er eine Gruppe von 15 Welpen, in der Chaos herrschte und kein konstruktives Lernen möglich war.
Sinnvoller seien moderierte Begegnungen. Man könne zum Beispiel zwei passende Hunde - idealerweise von ähnlicher Größe und im ähnlichen Alter - zusammenbringen und ihre Interaktion beobachten. Erst wenn diese gut funktioniert, kann ein dritter Hund hinzugefügt werden, um zu sehen, wie sich die Dynamik verändert. Sami betont auch, wie wichtig es ist, verschiedene Hundetypen und deren unterschiedliche Kommunikations- und Spielstile kennenzulernen, zum Beispiel den Unterschied zwischen einem treibenden Hütehund und einem verspielten Boxer.
Der Mensch als sicherer Hafen in Konfliktsituationen
Ein zentraler Aspekt ist die Rolle des Menschen, wenn eine Hundebegegnung eskaliert. Sucht ein Hund nach einer negativen Erfahrung Schutz bei seinem Menschen, rät Sami dazu, ihm physisch Halt zu geben (ihn „rahmen“), ruhig zu bleiben und ihn aktiv vor dem anderen Hund abzuschirmen. Wichtig sei es, die Situation zu stabilisieren, bevor man sich gemeinsam entfernt.
Sollte der Hund stattdessen Schutz bei einem anderen Hund oder Menschen suchen, sei das kein Grund, es persönlich zu nehmen. Stattdessen sollte man die Situation als Lernchance begreifen, um dem Hund in Zukunft zu vermitteln, dass man selbst der primäre Schutzort ist. Dies stärkt die Bindung und das Vertrauen.
Gesellschaftlicher Druck und die Akzeptanz von Grenzen
Sami spricht ein weitverbreitetes Missverständnis an: die Erwartung, dass alle Hunde freundlich und sozial verträglich sein müssen. Er verweist auf die evolutionären Wurzeln des Hundes beim Wolf, bei dem der Kontakt mit fremden Artgenossen die Ausnahme und nicht die Regel ist. Die primäre soziale Einheit ist die Familie.
Daher sei es völlig normal und legitim, wenn ein Hund Grenzen setzt und nicht jeden Fremden in seiner Nähe duldet. Oft wird der Hund, der eine klare Grenze kommuniziert, fälschlicherweise als der „Böse“ abgestempelt, während der aufdringliche Hund, der alle Signale ignoriert, übersehen wird. Es ist die Aufgabe des Menschen, diese Dynamiken zu verstehen und seinen Hund dabei zu unterstützen, anstatt ihn in unangenehme Situationen zu zwingen.
Praktische Schritte zur Gestaltung von Sozialkontakten
- Beobachte deinen Hund genau: Analysiere, wie dein Hund auf andere Hunde reagiert. Ist er entspannt, neugierig, überdreht oder ängstlich? Seine Reaktion ist dein wichtigster Anhaltspunkt.
- Setze auf Qualität statt Quantität: Bevorzuge Treffen mit bekannten, sozial kompetenten Hunden. Ein guter Hundefreund ist mehr wert als zehn oberflächliche Parkbekanntschaften.
- Moderiere Begegnungen bewusst: Starte mit kontrollierten Kontakten, zum Beispiel bei einem gemeinsamen Spaziergang an der Leine, bevor du die Hunde frei interagieren lässt.
- Sei der sichere Hafen für deinen Hund: Wenn dein Hund in einer Begegnung unsicher wird und Schutz sucht, biete ihm diesen bedingungslos an. Schirme ihn ab und verlasse die Situation gemeinsam und in Ruhe.
- Lerne, das Spiel zu lesen und einzugreifen: Nicht jedes laute Spiel ist problematisch, aber wenn ein Hund permanent gejagt, gemobbt oder unter Druck gesetzt wird, ist es deine Aufgabe, das Spiel zu unterbrechen.
- Akzeptiere die Individualität deines Hundes: Zwinge deinen Hund nicht in soziale Kontakte, die er offensichtlich nicht möchte. Respektiere seine Grenzen - das stärkt euer Vertrauen.